Jeder empfindet etwas anderes als Kränkung

Psychische Ausdrücke wie Glück, Trauer oder Angst werden mehr gefühlt als mit dem Verstand umrissen und lassen sich viel leichter emotional „begreifen“, als mit Worten beschreiben. So ist es auch beim Begriff der „Kränkung“. Reinhard Haller erläutert: „Obwohl jeder recht genau weiß – oder besser gesagt, genau spürt –, worauf sich der Ausdruck bezieht, ist es gar nicht so leicht, ihr konkret zu fassen und näher zu definieren.“ Dies hängt wohl damit zusammen, dass der Terminus sehr weit gespannt und auch ziemlich ungenau ist. Zudem kann man Kränkungen weder objektivieren noch quantifizieren. Kränkungen sind nicht nur schwer zu beschreiben, sondern sie sind vor allem nicht messbar. Sie lassen sich nicht gewichten, nicht einteilen, nicht durch psychologische Instrumente qualifizieren und kategorisieren. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

Weiterlesen

Die individuelle Freiheit ist das höchste Gut der menschlichen Existenz

Viele Menschen in den reichen Staaten des Westens sind so frei wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Und doch fühlen sie sich oft gefangen, erdrückt von Anforderungen, getrieben durch inneren Leistungszwang. Das neue Philosophie Magazin 05/2018 versucht in seinem Titelthema die Frage zu beantworten, warum diese Menschen nicht mehr aus ihrer Freiheit machen. „Mach die Ding!“, „Lebe deinen Traum!“ – das sind die Imperative der Gegenwart. Aber wie das so ist mit großen Sehnsüchten verweisen sie umso deutlicher auf einen Mangel. Zeitnot, Stress, Beschleunigung, Angst vor der Zukunft, Burn-out. Von einem geglückten Leben scheinen die meisten Menschen nach wie vor weit entfernt. Eine Ausrede, die auf die widrigen Verhältnisse verweist, würde ein Denker wie Jean-Paul Sartre niemals gelten lassen. Denn seiner Meinung nach ist der Mensch dazu verurteilt, seine Existenz selbst zu entwerfen und sich in jeder konkreten Situation für die Freiheit zu entscheiden.

Weiterlesen

Eine Trennung ist keine Schande

Keine Ansprüche von außen, keine Normen, keine Moral sollen sich in die gegenwärtigen Konstrukte der Liebe einmischen. Die israelische Soziologin Eva Illouz, die gerade an einem Buch mit dem Titel „Unloving“ arbeitet, erklärt: „Das ist die Kehrseite der sexuellen Freiheit, für die wir gekämpft haben. Es ist allein unser Verlangen und unser Gefühl, das legitimiert, was wir tun. Sobald das schwindet, schwindet auch unser Engagement für die Beziehung.“ Unter diesen Vorzeichen kann man ihrer Meinung nach beispielsweise auch das Fremdgehen nicht mehr in moralischen Kategorien begreifen. Derjenige, der es tut, drückt damit lediglich das eigene sexuelle Verlangen aus. Und das ist heute um seiner selbst willen zulässig. Eva Illouz stellt fest: „Weder das Scheidungsrecht noch die Psychologie suchen noch nach Schuldigen.“

Weiterlesen

Viele Menschen geben heute eine Beziehung viel zu schnell auf

Die Liebe kann einen Menschen verrückt machen. Peter Walschburger ist Professor für Biopsychologie an der FU Berlin. Er kann beschreiben, was dabei mit dem Körper geschieht: „Sich leidenschaftlich zu verlieben, das ist mehr als ein bloße Erfahrung. Das prägt uns auf den Partner, fast so, wie das Kind auf die Mutter geprägt wird.“ Die Hormone spielen verrückt. Das Geheimnisvollen und Fremde am anderen zieht die Verliebten magisch an. Nach der Phase des ersten Kennenlernens verwandelt sich der Reiz des Neuen aber allmählich in Verbundenheit und Nähe. Es kommt zur Ausschüttung von Bindungshormonen. Das Gefühl, im anderen eine Art zweite Heimat gefunden zu haben, stellt sich ein. Die Biologie der Liebe verläuft also in zwei Funktionskreisen: Erst erobert sie sich das Fremde. Und verwandelt es dann in Vertrautheit.

Weiterlesen

Belohnungen aufzuschieben schützt vor Verletzlichkeiten

Die kognitiven und emotionalen Kompetenzen, dank deren Vorschulkinder auf größere Belohnungen warten können, ebnen ihnen den Weg zur Entwicklung psychischer Ressourcen, Einstellungen und sozialer Beziehungen, die ihre Chancen verbessern können, ein erfolgreiches Leben zu führen. Außerdem schützt die Fähigkeit, Belohnungen aufzuschieben, das eigene Selbst. Walter Mischel erklärt: „Denn sie hilft uns dabei, unsere persönlichen Verletzlichkeiten – Vulnerabilitäten – effektiver abzuschirmen und zu regulieren, unsere heißen, impulsiven Reaktionen abkühlen zu lassen und auch die Konsequenzen unseres Handelns zu bedenken.“ Zunächst einmal würdigt Walter Mischel das heiße System. Die Menschen sollten auf das hören, was es ihnen sagt, und von ihm lernen. Es schenkt ihnen die Emotionen und die Freude, ohne die das Leben nicht lebenswert ist, und es erlaubt reflexartige Urteile, die sich manchmal bewähren. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen

Überempfindlichkeit führt zu zerstörerischen Effekten

Menschen mit einer Überempfindlichkeit gegen potentielle Kränkung und Zurückweisung (RS) haben große Angst vor Ablehnung in engen Beziehungen. Sie rechnen damit, verlassen zu werden, und sie provozieren oftmals durch ihr eigenes Verhalten die Zurückweisung, vor der sie sich fürchten. Walter Mischel erklärt: „Die zerstörerischen Effekte dieser großen Empfindlichkeit können wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken, wenn sie unkontrolliert bleiben.“ Die Gedanken hochempfindlicher Menschen drehen sich oft zwanghaft um die Frage, ob sie wirklich gemocht oder geliebt werden, und ihre Grübeleien lösen in dem Maße, wie sich ihre Verlassensängste verstärken, eine weitere Kaskade heißer Wut- und Grollgefühle aus. Auf ihren eigenen Stress und die verärgerten und unangemessenen Reaktionen ihrer Partner reagieren sie ihrerseits mit noch größerem Kontrollzwang – ganz offen oder mit passiver Aggression. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Weiterlesen