Eltern wollen Erfolg und Glück für ihre Kinder

Wenn Eltern tiefe Liebe für ihre Kinder empfinden, wenn sie es gut mit ihnen meinen und keine verdrehten Vorstellungen von einer Eltern-Kind-Beziehung haben, gibt es zwei Möglichkeiten, wie sie in Zorn geraten können. Martha Nussbaum erläutert: „Die eine Möglichkeit ergibt sich aus einer stellvertretenden Investition ins eigene Ego: Das betreffende Elternteil sieht in dem Kind eine Erweiterung seiner selbst bzw. jemanden, die oder der die eigene Existenz fortsetzt. Ihm geht es darum, die eigenen Träume zu erfüllen.“ Die andere Möglichkeit ergibt sich aus der Sorge um das jetzige beziehungsweise künftige Wohl des Kindes. Beide Möglichkeiten überschneiden sich, weil Eltern häufig ein zentrales Interesse daran haben, dass ihr Kind erfolgreich und glücklich ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Kinder müssen ihren eigenen Lebensweg finden

So eine Investition ins eigene Ego muss nichts Schlechtes sein. Sie kann intensive Aufmerksamkeit und Sorge zur Folge haben, weil das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit die Menschen nach allem greifen lässt, was ihnen offenbar Hoffnung gibt, den Tod besiegen zu können. Dennoch kann sie leicht von einer Sorge um Einfluss und Kontrolle infiziert werden. Denn nicht jede mögliche für ein Kind ist eine Zukunft, die Eltern als Fortsetzung ihres Selbst begreifen und entsprechend gutheißen werden.

Eine Egoinvestition zieht eine Menge Wut und Zorn auf Entscheidungen über den Berufsweg, die Religion oder die Partnerwahl nach sich. Martha Nussbaum weiß: „Es braucht viel Reife und innere Ruhe für den Gedanken, dass der Mensch, der die eigene Existenz vielleicht am besten fortsetzen könnte, ein freier Mensch ist, der sich seinen eigenen Weg erschließt.“ Darüber hinaus ist es nur allzu wahrscheinlich, dass eine Investition in ein Ich-Ideal von Befürchtungen und Sorgen um den Status infiziert wird, auch wenn sie nicht unbedingt dem Gedanken der Konkurrenz unterliegen muss.

Eltern können sich in hohem Maße in das eigene Kind einfühlen

Junge Erwachsene tun vieles, was entweder für sie selbst oder für andere mit Schmerz verbunden ist. Auch Eltern, die sich nicht übermäßig von Vorstellungen des Status oder der Kontrolle leiten lassen, werden den Zorn in vielen solcher Fälle als eine begründete Reaktion betrachten. Allerdings können sich Eltern auch oft in einem hohen Maße in das eigene Kind einfühlen; dies hilft ihnen, sich produktiv mit dem Weg des Kindes auseinanderzusetzen, statt nutzlosen Gedanken der Heimzahlung nachzuhängen.

Häufig besänftigt den Zorn auch ein spielerischer Umgang mit den Kindern, bevor er an den Eltern nagen kann, und verhilft selbst im Falle des begründeten Zorns zu einer für beide Seiten produktiven Lösung. Es ist nicht leicht und doch unbedingt notwendig, Trauer und Enttäuschung vom Zorn abzugrenzen. Wenn man es gut mit einem Kind meint, gibt es viele Anlässe, zu denen sich ein Gefühl von Verlust oder Traurigkeit einstellen kann. Sie lenken die Gedanken aufs Helfen und Wiedergutmachen, oder sie lassen einen, wenn beides nicht möglich ist, das Unwiederbringliche bedauern. Quelle: „Zorn und Vergebung“ von Martha Nussbaum

Von Hans Klumbies