Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren

Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Für die Gesellschaft am wichtigsten ist die Idee des rule of law

Menschen sind zuerst immer Individuen. Sie verbinden sich zu Gesellschaften, nicht weil sie eine gemeinsame Vergangenheit haben, sondern gemeinsame Ziele, Werte, Ideale. Für die Gesellschaft am wichtigsten ist die Idee des „rule of law“, der Herrschaft von Gesetzen, der Gewaltenteilung. Andere sind die Gleichheit vor dem Gesetz, die Freiheit, die Unantastbarkeit der Person. Jede und jeder kann theoretisch Teil dieser Gesellschaft werden, wenn sie, wenn er diese Grundregeln akzeptiert, man muss sie nicht einmal glauben.

Die Vision von Menschenrechten und Menschenwürde ist und bleibt universell, auch wenn sie immer wieder Rückschläge hinnehmen muss. Trotzdem wird sie sich behaupten, denn sie ist letztlich im Interesse aller. Sie ist eine Befreiungstheologie ohne Gott, und die Geschichte ist auf ihrer Seite. Es ist der schönste Traum, den die Menschheit jemals geträumt hat, und er hat das Potenzial, alle Menschen zu befreien. Doch es existiert daneben eine Imperialismuskritik, in deren Zentrum die Tatsache steht, dass der Westen seine eigenen Ideale von universellen Menschenrechten sehr selektiv interpretiert.

Die Aufklärung verhalf dem Bürgertum zum gesellschaftlichen Aufstieg

Philipp Blom erläutert: „Einerseits gab ihr universalistischer Anspruch den Kolonialherren in den eigenen Augen das Recht, lokale und gewachsene Strukturen zu zerstören, um westliche Praktiken, Gerichte, Schulen und Transportsysteme einzuführen und die betreffenden Länder militärisch hart zu unterdrücken und wirtschaftlich auszubeuten, andererseits produzierten westliche Gelehrte und Wissenschaftler eine Strom von Publikationen, die mithilfe von Schädelmessungen und anderen dubiosen Kriterien beweisen sollten, das der weiße Mann den Angehörigen anderer Ethnien moralisch, intellektuell und physisch überlegen und seine Herrschaft damit rechtens war.“

Universelle Menschenrechte konnten nur für vollwertige Menschen gelten, und die gab es eigentlich nur in den wohlhabenden Häusern Europas und seiner Kolonien – schon die eigenen Armen waren häufig ausgeschlossen von dieser Definition. Andere Kritiken der Aufklärung argumentieren, dass sie letztendlich immer das war, was einer bestimmen Elite nützte, eine Waffe beim gesellschaftlichen Aufstieg des Bürgertums, keine zeitlose und universelle Wahrheit, obwohl sie ihren Anspruch darauf begründete, genau das zu sein. Wirklich aufgeklärt ist nur, wer diese Werte auch dann verficht, wenn sie dem eigenen Interesse entgegenstehen. Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies