Das Thema eines Traums ist ein Gefühl

Beim Träumen hat der bewusste Geist den Gedächtnishahn weit geöffnet, und die Erinnerungen strömen hinaus. Das eine führt zum anderen. Beängstigende oder schmerzliche Erinnerungen tauchen auf. Der bewusste Geist kann nur noch eines tun: Er improvisiert aus dem vorhandenen Material eine zusammenhängende Handlung oder versucht es zumindest. Der amerikanische Traumforscher Allan Hobson bezeichnet die Traumgedanken zusammenfassend als „unlogisch, bizarr“. Diese weitverbreitete Auffassung ist nach der Überzeugung von David Gelernter nicht ganz richtig: „Wie im Wachzustand, so sind unsere bewussten Gedanken auch im Traum ein rationaler Versuch, der Realität einen Sinn zu geben.“ Wenn ein Mensch schläft, besteht die Realität aus dem inneren Bereich des Bewusstseins – und dann präsentiert sie dem Schlafenden eine Reihe von Erinnerungen, die in ihrer Abfolge wahrscheinlich keinen Sinn ergeben und auch jeweils schadhaft oder entstellt sein können. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Träumen liegen klare Emotionen zugrunde

Irrational und bizarr sind laut David Gelernter nicht die Gedanken eines Menschen, wenn er träumt, sondern die Realität ist irrational und bizarr. Einer solchen Realität einen Sinn zu geben ist eine schwierige Aufgabe, aber die Menschen geben sich die größte Mühe. Dazu erfinden sie Handlungen eines Themenkreises, um der Welt einen Sinn beizugeben. Auch in anderer Hinsicht sind Träume nicht unlogisch. So seltsam ihre Handlung auch sein mag, die Emotionen, die ihnen zugrunde liegen, sind in der Regel klar, wenn man wach ist und über den Traum nachdenkt.

Das Thema eines Traums ist ein Gefühl oder ein mit Gefühlen durchtränktes Bild. Manchmal handelt es sich dabei um ein unangenehmes oder schmerzliches Gefühl, an das man nicht denken will, wenn man wach ist. Im Traum dagegen ist man achtlos und dringt weit in die Erinnerungen vor. Diese Kombination bringt Emotionen in das Bewusstsein des Traums, die einen belasten und an die man normalerweise nicht denken mag. Wenn man den Traum als solchen betrachtet, fällt auf, dass Sigmund Freud und Freud-Gegner Allan Hobson in einem Punkt übereinstimmen.

Träume sprechen in Bildern

Träume sind konkret und visuell. In Träumen ist man nicht in der Lage, Sprache zu erfinden, man kann sich aber an sie erinnern und sie verstehen. Bilder dagegen kann man erfinden. Träume sprechen in Bildern. Träume können aber auch nicht einfach körperlose Gefühle wiedergeben. Ein schmerzhaftes Gefühl macht sich in Form von Bildern bemerkbar, und diese Bilder können unlogisch, verwirrend oder absurd sein. Meistens entdeckt man dahinter das Gefühl, wenn man wach ist und reflektieren kann – wenn man sein Selbst zurückgewonnen hat.

Und diese Gefühle sagen den Menschen die Wahrheit über ihren Geist. Alte Geschichten sind wie Träume. Sie sprechen konkret, in Bildern. In William Shakespeares „Julius Cäsar“ zum Beispiel versteht Cassius ein wildes Unwetter für Cäsar selbst, der gefährlich ist und beseitigt werden muss. Es gehört zu den auffälligsten Aspekten des Träumens, dass man nicht mehr Alpträume hat, als man hat. Jeder, der schon einmal von einem solchen Schreckenstraum heimgesucht wurde, hat daran irgendwelche unschönen Erinnerungen. Diese schlechten Gedanken können den Weg ins Bewusstsein finden, wenn man träumt, das heißt wenn Konzentration und Kontrolle am schwächsten sind. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies