Die Demokratie begrenzt die Macht institutionell

Sind Demokratie und Eliten nicht per se ein Widerspruch? Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man Demokratie als Herrschaftsfreiheit, als die Abwesenheit jeglicher Herrschaft, als reine Selbstregierung versteht. Isolde Charim betont: „Tatsächlich aber ist dies eine Mystifizierung. Demokratie bedeutet nicht Herrschaftsfreiheit, sondern eine Gesellschaftsordnung, die Macht institutionell begrenzt.“ Insofern gibt es auch in der Demokratie Eliten, auch politische Eliten, ohne dass dieses Faktum undemokratisch wäre. Allerdings ist es nur dann demokratisch, wen die Macht dieser Eliten eingehegt ist, sozusagen gezähmt durch Begrenzung. Begrenzt durch die Verwandlung von Machthabern in Amtsträger. Begrenzt durch die Wähl- und Abwählbarkeit dieser Amtsträger. Eingehegt durch Kontrolle, Transparenz, Responsivität, Verantwortung. Zumindest der Möglichkeit nach. Dr. Isolde Charim ist Philosophin und freie Publizistin. Seit 2007 arbeitet sie als wissenschaftliche Kuratorin am „Bruno Kreisky Forum“.

Repräsentation stellt die Gesellschaft auch her

Wenn es aber Eliten gibt, dann ist für den Zustand der Demokratie eines entscheidend: das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten. Die zentrale Frage ist also: Wie gestaltet sich dieses Verhältnis? Grundsätzlich ist klar, dass dieses Verhältnis dann genuin demokratisch ist, wenn es ein Repräsentationsverhältnis ist. Wenn also die politischen Eliten die politischen Interessen ihrer Wähler vertreten und zugleich eine Vorstellung vom Gesellschaftsganzen definieren.

Isolde Charim möchte diesen letzten Punkt noch verstärken: „Repräsentation ist nicht nur Vertretung von Partikularinteressen.“ Politik, also demokratische Politik, ist auch damit befasst, der Gesellschaft ein Bild von sich selbst zu repräsentieren. Ein Bild, das sie so nicht hat. Repräsentation heißt also nicht einfach nur Widerspiegelung des Bestehenden. Sondern sie bedeutet auch Herstellung, Präsentation eines Bildes, einer Vorstellung, wo eine disparate Gesellschaft sich als Ganzes anschauen kann. In diesem Sinn ist Repräsentation auch konstitutiv: Sie stellt die Gesellschaft, die sie darstellt, auch her.

Viele Europäer klagen über die Abgehobenheit der Eliten

Wie sieht das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten in heutigen westeuropäischen Ländern aus? Das Erste, was einem da entgegenschlägt, ist die Klage über die Abgehobenheit der Eliten. Sowohl was Lebensstil als auch Sprache, Lebensformen und Interessen anlangt, sind diese abgekoppelt von den Erfahrungen der Bevölkerung. Oder werden als abgekoppelt erlebt. Das Verhältnis von Eliten und Nicht-Eliten ist heute ein abgrundtiefer Abstand. Das Verhältnis ist also ein Nicht-Verhältnis.

Isolde Charim erläutert: „Dieser Abstand hat zwei Gesichter: das der ökonomischen und das der politischen Eliten.“ Das erste, das ökonomische Gesicht bezeichnet man als „Sezession der Reichen“. Es ist dies eine Abtrennung, Distanzierung, Ungebundenheit, eine geistig-moralische Exterritorialität der Erfolgreichen. Diese entscheiden sich für eine Abspaltung und treten von ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen, Verantwortungen und damit vom Gemeinwohl zurück. Kurzum – die ökonomischen Eliten kündigen den Gesellschaftsvertrag einseitig auf. Quelle: „Politische Eliten – Repräsentation oder Usurpation?“ von Isolde Charim in Philosophicum Lech, Band 23 „Die Werte der Wenigen“

Von Hans Klumbies