Durch die digitale Revolution haben heute Milliarden Menschen die Möglichkeit, Ansichten zu veröffentlichen und in diesem Sinne direkt zu allen Menschen zu sprechen, die mit dem World Wide Web verbunden sind. Timothy Garton Ash schränkt allerdings ein: „Stellt man jedoch die Frage, wessen Stimmen und Ansichten tatsächlich Gehör finden, erkennt man, wie weit wir immer noch vom Ideal einer voll repräsentierten Vielfalt entfernt sind.“ Der Fachausdruck für die Vielfalt in der Medienbrache lautet „Medienpluralismus“. Eine für die Europäische Union erstellte Studie postuliert fünf Dimensionen von Medienpluralismus: Besitz und Kontrolle; Medientypen und –genres; politische Standpunkte; kulturelle Ausdrucksformen; und lokale und regionale Interessen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.
Die Besitzverhältnisse verzerren den Medienpluralismus
Die vermutlich schlimmste Verzerrung des Medienpluralismus beruht immer noch auf den Besitzverhältnissen. Timothy Garton Ash zitiert gerne das berühmte Bonmot von A. J. Liebling: „Die Freiheit der Presse ist nur für die sicher, die eine besitzen.“ Häufig haben Medienbesitzer nicht nur ausgeprägte persönliche Ansichten, sondern sind auch eng mit politischen Kräften verbunden. Die Eigentümer der Presse sagen zu Recht, eine politische und finanziell unabhängige Presse sei ein klassisches Mittel, um die politische Macht im Zaum zu halten, doch sie haben eine Machtfülle, die ebenfalls im Zaum gehalten werden muss.
Timothy Garton Ash stellt fest: „Mächtige Eigentümer, deren Medien ihren persönlichen Geschäftsinteressen dienen, ihre eigenen politischen Ansichten propagieren und die Politiker fördern, mit denen sie zusammenarbeiten, sind ein besonders deutliches Beispiel für die Verzerrungen, die das Zusammenwirken von Geld, Medien und Politik hervorbringt.“ Doch das ist längst noch nicht alles: Sämtliche Konzerne, Berufs- und Interessengruppen versuchen ihre Anliegen mittels der Medien zu fördern.
Das Phänomen des „Fließbandjournalismus“ hat sich verschärft
Die Zahl der professionellen Journalisten schwindet dahin, da das traditionelle Geschäftsmodell der Zeitungen im Online-Zeitalter unter Druck gerät, doch die Zahl der Lobbyisten und PR-Leute ist exponentiell gestiegen. Diese beiden Entwicklungen haben das Phänomen des „Fließbandjournalismus“ verschärft. Statt aktiv Nachrichten zu sammeln, werden Journalisten zu passiven Verarbeitern, die Artikel wie am Fließband produzieren, gleichgültig ob sie auf einem wirklichen Ereignis oder auf einer PR-Erfindung beruhen, ob sie wichtig oder bedeutungslos, wahr oder falsch sind.
Eine Studie der Cardiff University aus dem Jahr 2006 kam zu dem Ergebnis, dass 54 Prozent der britischen Nachrichtenartikel irgendeine Form von PR enthielten. Unternehmen und in einem geringeren Ausmaß auch andere Lobbys und Interessengruppen nehmen außerdem Einfluss auf die Medien, indem sie ihnen Werbeeinnahmen versprechen oder mit dem Entzug derselben drohen. Da die meisten Medien Gewinn machen müssen, wenn sie überleben wollen, müssen sie eine Kombination von zahlenden Verbrauchern und zahlenden Inserenten an sich binden. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash
Von Hans Klumbies