Der Mensch braucht sieben bis neun Stunden Schlaf

Julia Shaw betrachtet den Schlaf ganz allgemein als lästige Notwendigkeit. Wenn sie könnte, würde sie ihre nächtlichen Auszeiten gänzlich überspringen. Noch frustrierender ist für sie, dass sich die Wissenschaftler noch nicht einmal ganz sicher sind, warum die Menschen den Schlaf überhaupt brauchen. Allerdings weiß man inzwischen, wieviel Schlaf man benötigt, nämlich sieben bis neun Stunden. Julia Shaw ergänzt: „Wir wissen, wie er sich anfühlt, aufgeteilt in Phasen fast ohne jedes Bewusstsein und solche mit lebhafter Halluzination.“ Die Forscher wissen auch, unter welchen Umständen er sich am wahrscheinlichsten einstellt: bei völliger Stille und kühler Dunkelheit. Die Biopsychologen Gordon Feld und Susanne Diekelmann von der Universität Tübingen erklären: „Träumen ist ein Zustand aktiver Informationsverarbeitung, der für das ordnungsgemäße Funktionieren von Lernen und Gedächtnis unerlässlich ist.“ Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

Im Tiefschlaf werden Erinnerungen gestärkt

Die Gedächtnisengramme sowie die Verbindungen zwischen ihnen werden im Schlaf noch einmal abgespielt, als ziehe der Tag noch einmal an einem vorbei. Während des Tiefschlafs, den man auch als langsamen Schlaf bezeichnet, werden Erinnerungen gestärkt, die man im Wachzustand gebildet hat. Auf diese Weise hilft der Schlaf, Erinnerungen zu konsolidieren. Laut dem Neurowissenschaftler Gordon Wang und seine Kollegen von der Stanford University ist Schlaf vor allem dafür wichtig, die Aktivität des Gehirns von einem hohen Niveau herunterzufahren, das es tagsüber aufweist.

Die Mitarbeiter von Wangs Team sind der Meinung, dass dieser Prozess einem Menschen ermöglicht, seine wichtigsten Gedächtnisspuren zu behalten und den weniger bedeutsamen „Lärm der Alltagserfahrung“ wieder loszuwerden. Julia Shaw fügt hinzu: „Was diese Herunterregelung des Gehirns außerdem notwendig macht, ist die Abhängigkeit unserer Gehirns von Glutamat.“ Glutamat ist der häufigste Neurotransmitter im Gehirn und öffnet durch seine Wirkung einige der Hauptkommunikationskanäle zwischen Zellen.

Lernen im Schlaf ist wenig wahrscheinlich

Gedächtnisprozesse, die während des Schlafes stattfinden, helfen einem Menschen zudem zu verstehen, warum er träumt – häufig von Ereignissen, Menschen, Situationen oder Emotionen, die jenen ähneln, denen man am Tag begegnet ist. Die Forscher wissen, dass Erinnerungen wechselnd zurückgestutzt oder verstärkt werden, während man schläft. Bei diesem Prozess können miteinander verbundene Gedächtnisengramme einfach aufgrund ihrer Assoziationen aktiviert werden. Möglicherweise manifestieren sie sich dann als Träume.

Julia Shaw erklärt: „Natürlich können Träume bizarre Kombinationen von Engrammen sein, die so nie in der Wirklichkeit vorkommen könnten. Der Schlaf ist offenbar ein Weg, Erinnerungen zu verstärken, zu reorganisieren und zu verwandeln.“ Wenn es um die Konsolidierung neuer oder komplexer Erinnerungen geht, gilt ihrer Meinung nach: „Es ist tatsächlich am besten, eine Nacht darüber zu schlafen.“ Lernen im Schlaf ist allerdings wenig wahrscheinlich. Versuchspersonen während des Schlafs Lernstoff nahezubringen, hatte keinen erkennbaren Effekt. Quelle: „Das trügerische Gedächtnis“ von Julia Shaw

Von Hans Klumbies