Weise Menschen übernehmen die Verantwortung für ihre Fehler

Das Nachdenken über Erfahrungen fällt den meisten Menschen vor allem dann schwer, wenn ihr Handeln nicht zu einem erfreulichen Ergebnis geführt hat, sondern negative Folgen hatte. Judith Glück ergänzt: „Aus vielen Studien und jeder Menge Alltagserfahrung wissen wir, dass die meisten Menschen eher dazu neigen, ihre eigene Verantwortung für das, was nicht so gut gelaufen ist, möglichst weit wegzuschieben.“ Das Wegschieben der eigenen Schuld im Kleinen wie im Großen ist so häufig und allgegenwärtig, dass es einem völlig den Wind aus den Segeln nehmen kann, wenn sich jemand für sein Fehlverhalten einfach nur entschuldigt. Weise Menschen können das, sie haben die Größe, ihre eigenen Handlungen kritisch zu hinterfragen, die Verantwortung für Fehler zu übernehmen und aus ihnen zu lernen. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Ursula Staudinger unterscheidet zwei Formen der Weisheit

Wie jeder weiß, ist es viel leichter, Fehler bei anderen zu sehen als bei sich selbst. Judith Glück erläutert: „Je stärker wir selbst in eine Problem oder in einen Konflikt involviert sind, desto schwerer fällt es uns, die Situation aus einer einigermaßen objektiven Perspektive zu betrachten und die Perspektiven anderer Beteiligter nachzuvollziehen.“ Igor Grossmann von der University of Waterloo in Kanada hat in einer Serie von Experimenten gezeigt, dass Menschen wesentlich weisere Lösungen für schwierige Probleme finden, wenn sie gebeten werden, die Situation aus einer distanzierten Perspektive zu betrachten, als wenn sie sie auf sich persönlich beziehen.

Schon einfache Techniken wie das Schreiben über ein Problem in der dritten Person statt in der Ich-Form können den Weisheitsgehalt des Geschriebenen deutlich erhöhen. Ursula Staudinger von der Columbia University in New York hat die Unterscheidung zweier Formen von Weisheit vorgeschlagen, um das Phänomen abzubilden, dass viele Menschen recht weise über die Probleme anderer sprechen, ihren eigenen aber praktisch blind gegenüberstehen. Diese Art von Weisheit, die die eigene Person nicht oder nicht notwendigerweise einschließt, wird als „allgemeine Weisheit“ bezeichnet.

Für Judith Glück ist nur die persönliche die wirkliche Weisheit

Ihr gegenüber steht die „persönliche Weisheit“, die nur aus einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Fehlern, blinden Flecken und Abwehrmechanismen entstehen kann. Die verschiedenen psychologischen Weisheitstheorien und auch die Methoden, mit denen Weisheit gemessen wird, lassen sich zum Großteil entweder der allgemeinen oder der persönlichen Weisheit zuordnen. Die Forschungsprojekte von Judith Glück befassen sich ausschließlich mit persönlicher Weisheit, da sie glaubt, dass allgemeine ohne persönliche Weisheit einfach nicht wirkliche Weisheit ist.

Judith Glück glaubt, dass die Bereitschaft zur selbstkritischen Reflexion des eigenen Tuns auch von außen erkennbar ist, schon allein durch die Art, wie Menschen über Erfahrungen sprechen, und dass diese einen notwendigen Bestandteil wirklicher Weisheit darstellt. Nic Weststrate beschreibt eine Art des Reflektierens wie folgt: Man kann über ein Ereignis nachdenken, um damit seinen Frieden zu machen, um beispielsweise ein gutes Ende zu finden, beziehungsweise etwas Positives, das aus der Situation entstanden ist. Gerade dann, wenn eine Erfahrung sehr schwerwiegend war, kann diese Form des Denkens guttun. Quelle: „Weisheit“ von Judith Glück

Von Hans Klumbies