Der Markt regelt Angebot und Nachfrage

Nicht nur Wirtschaftstheoretiker, sondern auch Philosophen setzen sich für den Wettbewerb ein. In der Neuzeit etwa von Montesquieu über David Hume und Condorcet bis Immanuel Kant. Montesquieu spricht im „Esprit des Lois“ (Geist der Gesetze, 1748) von der zivilisierenden Kraft des „sanften Handels“. Denn dieser löst den Krieg der Leidenschaften durch den Kompromiss zwischen divergierenden Kräften ab. Otfried Höffe ergänzt: „Und nach Kant ist der Mensch dazu bestimmt, alle seine auf den Vernunftgebrauch abzielenden Naturanlagen vollständig zu entwickeln. Das geschieht wiederum außer durch gezielte Förderung mittels eines Wettbewerbs. Denn dieser erweckt „alle Kräfte des Menschen. Er bringt ihn dahin, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen“.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Kritische Theorie ist aktueller denn je

Die „Kritische Theorie“ ist das Thema der neuen Sonderausgabe 19 des Philosophie Magazins. Die Chefredakteurin Catherine Newmark schreibt in ihrem Editorial: „Das innige Zusammenwirken von Theorie und Praxis, von Verstehen und Handeln, ist sicherlich eines der Hauptmerkmale der sogenannten „Kritischen Theorie“, auch bekannt als „Frankfurter Schule“, angefangen bei ihren Gründungsvätern Theodor W. Adorno und Max Horkheimer – und bis heute.“ Was die Überlegungen derjenigen antreibt, die sich dieser philosophischen Denkrichtung verpflichtet fühlen, ist der Stachel der Unzufriedenheit. Den Auftakt der Sonderausgabe macht ein großes Interview mit Jürgen Habermas, der zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart zählt. An der aktuellen Politik kritisiert er, dass sie auf Orientierung, Gestaltungswillen und Perspektive verzichtet. Sie passt sich opportunistisch der wachsenden Komplexität der beunruhigenden Verhältnisse an – ohne noch erkennbar irgendetwas zu wollen.

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Nachhaltige Freiheit besteht aus drei Elementen

Das Gerüst der nachhaltigen Freiheit bezieht die natürliche Umwelt in den Begriff der Freiheit ein. Denn Freiheit ist nicht freischwebend. Sie hat Voraussetzungen und Konsequenzen, die jeweils in der Lebenswelt konkrete Formen annehmen. Die Wurzeln der ökologischen Krise sind nicht allein in hohem Ressourcenverbrauch, steigenden Konsum- und Produktionszahlen zu suchen. Sondern sie verbergen sich auch in einem nicht nachhaltigen, alltäglichen Freiheitsverständnis, das diese Konsequenzen freien Handelns nicht einbezieht. Katia Henriette Backhaus erläutert: „Deshalb gehören der Anfang und das Ende des Freiheitsakts zur Freiheit dazu und dürfen nicht vergessen werden.“ Diesem Gedanken folgend entwickelt Katia Henriette Backhaus drei Elemente der nachhaltigen Freiheit, die sie in Beziehung zum Verhältnis von Mensch und Natur setzt. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Die Identität junger Muslime ist gespalten

Junge Muslime der zweiten Generation leben vorwiegend in weltlichen Gesellschaften mit christlichen Wurzeln. Sie befinden sich also in einer Umgebung, in der ihren religiösen Werte und Bräuche nicht öffentlich unterstützt werden. Ihre Eltern stammen häufig aus geschlossenen Dorfgemeinschaften. In denen praktiziert man beispielsweise lokale Formen des Islams, etwa die sufische Heiligenverehrung. Francis Fukuyama weiß: „Wie vielen Kinder von Immigranten liegt ihnen daran, sich von der altmodischen Lebensweise ihrer Familien zu distanzieren. Aber es fällt ihnen schwer, sich ihrer neuen europäischen Umgebung anzupassen.“ Die Jugendarbeitslosenquoten, zumal für junge Muslime, übersteigen oftmals dreißig Prozent. Und in etlichen europäischen Ländern stellt man immer noch eine Verbindung zwischen Ethnizität und Zugehörigkeit zu der dominierenden kulturellen Gemeinschaft her. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Glück sollte das Endziel des politischen Lebens sein

Ned O’Gorman beschreibt in seinem neuen Buch „Politik für alle“ das Denken von Hannah Arendt. Er bewegt sich dabei zwischen einer Einführung in ihre Arbeit und den Werken anderer wichtiger politischer Denker. Der Autor verteidigt dabei engagiert die Politik im Zeitalter der politischen Erschöpfung. Im Vorwort schreibt Ned O’Gorman: „Dieses Buch handelt vom Glück.“ Viele Menschen kennen die Redewendung vom „Streben nach Glück“. Sie war und ist revolutionär. Für die Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und die Menschen, die sie vertraten, war Glück das Ziel des politischen Lebens. Heute ist fast niemand mehr daran gewöhnt, Politik mit Glück zu verbinden. Viel eher assoziiert man sie mit negativen Gefühlen wie Elend, Depression, Apathie, Empörung oder Wut. Ned O’Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

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In der Zeitung begegnet die Gesellschaft sich selbst

Die Bedeutung der Medien für die Demokratie, insbesondere der Druckmedien, ist bekannt und im Prinzip unbestritten. Seit einiger Zeit findet in der Medienwelt zwar ein Strukturwandel statt. Denn „Meinungen„ bilden sich zunehmend mehr in den neuen sozialen Medien. Mit einer Prise Optimismus darf man noch immer die Zeitung das Medium nennen, „in dem sich die bürgerliche Gesellschaft selbst begegnet, die Sphäre, in der sich Politik, Ökonomie und Kultur spiegeln“. Die für die Öffentlichkeit unverzichtbaren Medien sind nicht bloß ein Forum, auf dem Interessen und Meinungen zu Wort kommen. Otfried Höffe ergänzt: „Sie sind auch eine Arena, in der um Einfluss und Macht gestritten wird. Darüber hinaus sind sie eine kritische Instanz, vor der sich die gesamte Politik, einschließlich der Gerichtsbarkeit, zu rechtfertigen hat.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Technische Innovationen können zum Krieg führen

Martin Luther hat den aus der konfessionellen Spaltung Mitteleuropas entstandenen Dreißigjährigen Krieg nicht gewollt. Der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, Johannes Gutenberg, wollte ihn ebenso wenig. Und doch hatte die Revolution im Druckwesen einen erheblichen Anteil an der politischen Mobilisierung. Deren Eskalation zum Krieg kostete ein Drittel der Bevölkerung Mitteleuropas das Leben. Andreas Barthelmess weiß: „Technologische Innovationen können zu gesellschaftlicher Polarisierung, zu dramatischen sozialen Umbrüchen führen, bis hin zum Krieg.“ Der griechische Philosoph Heraklit meinte sogar, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Andreas Barthelmess findet, das gibt dem Krieg zu viel der Ehre. Zwar gibt es Erfindungen, die ausdrücklich vom Militär bestellt wurden. Etwas die Konservendose, die auf eine Preisausschreibung Napoleon Bonapartes zurückgeht. Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.

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Vor der Presse war die Pnyx

Vor der Presse war die Pnyx. Auf einem Hang des gleichnamigen Hügels im alten Athen versammelten sich etwa 6.000 Bürger, um Angelegenheiten von öffentlichen Interesse zu diskutieren. Ein Versammlungsleiter verkündete die Tagesordnung. Timothy Garton Ash weiß: „Ein Herold fragte: „Wer will zur Versammlung sprechen?“ Dann betrat ein erwachsener männlicher Bürger die aus Stein gehauene Rednerbühne. Dann sagte er seinen um ihn versammelten Mitbürgern, was er dachte.“ Besondere Aufmerksamkeit wurde wahrscheinlich den bekannteren Rednern geschenkt. Einschließlich denen, die sich durch ihren Dienst im Rat des Stadtstaats ausgezeichnet hatten. Aber alle hatten das gleiche Recht, frei zu sprechen. Nach der für die Debatte vorgesehenen Zeit fand eine Abstimmung statt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Humor ist ein Gegengift gegen Fanatismus

Die Hälfte der von der Menschheit erzählten Witze stützt sich auf nationale, ethische, religiöse, soziale oder sexuelle Beleidigungen. Timothy Garton Ash weiß: „Seit mindestens 2500 Jahren genießen Komödie und Satire eine besondere Freiheit, die Grenzen von Zivilität, Anstand und Schicklichkeit zu überschreiten. Und schon genauso lange versuchen die Mächtigen den satirischen Geist zu unterdrücken.“ Humor wirkt entspannend wie ein Sicherheitsventil. Er bietet die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, über die man sonst schweigt. Und er ist ein unschätzbar wertvolles Gegengift gegen jeden Fanatismus. Der israelische Schriftsteller Amos Oz stellte einmal fest: „Ich habe niemals in meinem Leben einen Fanatiker mit Humor gesehen.“ Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Macht verändert den Status anderer

Wenn die Sozialwissenschaften dazu tendieren, Macht über Geld, militärische Stärke und politische Teilhabe zu definieren, tun sie das aus gutem Grund. Denn Aktivitäten, die sich darauf stützen, können die Welt erheblich verändern. Dacher Keltner ergänzt: „Durchdringt aber Macht jegliche Art der sozialen Dynamik, müssen wir sie neu definieren. Um damit zu zeigen, wie Menschen die Welt verändern, ohne auf Geld, militärische Aktivitäten und die Politik zurückzugreifen.“ So definiert, ist Macht die Fähigkeit, den Status anderer zu verändern. Mit Status meint Dacher Keltner die Stellung einer Person oder einer Gruppe im weitersten Sinne. Der Status kann also viele Bereiche betreffen: den Stand des Bankkontos, den Glauben, die Emotionen, die Gesundheit und so weiter. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Die Leistungsgesellschaft ist ein Tyrann

In seinem neuen Buch „Vom Ende des Gemeinwohls“ vertritt Michael J. Sandel die These, dass die Demokratien auf dem Prüfstand stehen und dass sich aktuell eine populistische Revolte ereignet. Als Beispiele nennt der Autor die Wahl Donald Trumps, den Brexit und den Erfolg der AfD. Das sind die wütenden Antworten auf die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft. Michael J. Sandel fordert die großen politischen Parteien auf, sich zu verändern und die Bürger ernst zu nehmen. Deren Protest richtet sich nicht nur gegen Einwanderung, Outsourcing und sinkende Löhne. Sie wehren sich gegen die Tyrannei der Leistungsgesellschaft, und diese Klage ist laut Michael J. Sandel berechtigt. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph, der seit 1980 in Harvard lehrt. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

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So sieht gute Konjunkturpolitik aus

Irgendwann endet auch die Phase des Shutdowns und die Wirtschaftstätigkeit kann Fahrt aufnehmen. Dann können klassische Instrumente der Konjunkturpolitik zum Einsatz kommen. Clemens Fuest erläutert: „Jetzt geht es tatsächlich darum, die Wirtschaftstätigkeit zu stimulieren. Also Unternehmen und private Haushalte anzuregen, zu konsumieren und zu investieren.“ Die Lockerungen des Shutdowns und die Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie vor der Pandemie herrschten, ziehen sich möglicherweise über einen längeren Zeitraum hin. Es ist sogar nicht auszuschließen, dass es zwischenzeitlich Rückschritte gibt. Denn es könnte zu neuen Krankheitsausbrüchen kommen, eventuell regional beschränkt. In dieser Übergangszeit müssen konjunkturpolitische Instrumente zielgenau sein, damit sie wirken. Je mehr Beschränkungen die Politik aufhebt, desto breiter können konjunkturpolitische Impulse wirken. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Willkürliche Machtausübung bedroht die Freiheit

Wenn man über Freiheit spricht, ist das, wovon man sich befreien will, ein bewegliches Ziel. Heutige Konservative mit intellektuellen Neigungen bezeichnen sich oft als „klassische Liberale“. Ihre Vorstellung von der menschlichen Freiheit wurde von John Locke und den Begründern des modernen Liberalismus geprägt. John Locke baute seine politische Argumentation auf dem Konzept der Freiheit auf. Sein Einfluss ging weit über die politische Sphäre hinaus. Sie prägt bis heute das Ideal einer Autonomie, die für den modernen Menschen zur zweiten Natur geworden ist. Matthew B. Crawford stellt fest: „Lockes Neudefinition der Politik machte eine Neudefinition der menschlichen Natur sowie der Stellung des Menschen in der Welt erforderlich. Letzten Endes musste er neu definieren, wie wir die Welt begreifen.“ Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Es gibt drei Dimensionen der Resilienz

Im Titelthema beantwortet das neue Philosophie Magazin 02/2021 die Frage: „Was macht uns resilient?“ An Krisen nicht zugrunde gehen, sie gar als Anlass für Fortschritt nutzen: Das meint das Konzept der Resilienz im Kern. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Die resiliente Persönlichkeit oder Gesellschaft weiß um die Unvermeidbarkeit schlimmer Ereignisse. Nichts kann uns hundertprozentig vor Schicksalsschlägen, vor Trennung oder Tod schützen.“ Inzwischen hat auch die Soziologie die Resilienz entdeckt und fragt nach den Grundparametern gesellschaftlicher Stabilität. Ein resilientes System braucht eine gewisse Geschmeidigkeit, ja Plastizität. Es muss beweglich und dynamisch sein. Nur so kann es auf das reagieren, was ihm zustößt, sich auf kommende Krisen vorhersehen und sich flexibel auf sie einstellen. Dabei gibt es drei Dimensionen der Resilienz: Stabilisation, Transformation und schließlich Reduktion.

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Ohne Vielfalt gibt es keine Alternativen

Vielfalt ist eine Bereicherung von Freiheit. Wenn es keine Vielfalt gäbe, hätten die Menschen keine Alternativen, zwischen denen sie wählen könnten. Doch das Leben mit einer solchen Vielfalt der Unterschiede hat auch seine Schwierigkeiten. Denn viele wollen vielleicht gerne wieder mehr „unter ihresgleichen“ leben. Das Problem ist nichts Neues. Die Kombination von Massenmigration und Internet hat zu einer atemberaubenden Zunahme der sichtbaren Vielfalt, sowohl materiell auf den Straßen der Weltstädte als auch virtuell auf den Seiten des Internets, geführt. Timothy Garton Ash ergänzt: „Wie nicht anders zu erwarten, geht es in einigen der heftigsten Konflikte um die Meinungsfreiheit um die Frage, wie Menschen sich in Bezug auf solche Unterschiede ausdrücken.“ Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Das Philosophie Magazin gibt 21 Impulse für 2021

Die aktuelle Sonderausgabe des Philosophie Magazins hat die 21 besten Essays zu aktuellen Fragen zusammengestellt. Verfasst haben sie internationale und deutschsprachige Denkerinnen und Denker, deren Reflexionen nicht nur inspirierend, sondern auch wegweisend sind. Gegliedert ist das Sonderheft in vier große Rubriken: Internationale Politik, Identität und Geschlecht, Technik und Gesellschaft sowie Rassismus. Zu den Herausforderungen unserer Zeit zählt momentan an erster Stelle die Coronaepidemie. Sie hat die gesamte Weltgemeinschaft vor eine gemeinsame Bedrohung gestellt. Für den Geschichtslehrer Paul Sebillotte existiert ein direkter Zusammenhang zwischen den Abholzungen der Regenwälder und der Hervorbringung von Epidemien. Die Zersiedlung verschlimmert die Abholzung noch und vervielfacht damit die Risiken einer Zoonose. Auch die industrielle Tierhaltung berücksichtigt nie die epidemiologischen Gefahren. Tritt dann doch eine Epidemie auf, werden die Kosten externalisiert: Die Staaten kommen für den Schaden auf, ohne die Kapitalisten zur Rechenschaft zu ziehen.

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Isolde Charim stellt den zweiten Individualismus vor

Der zentrale Wunsch des zweiten Individualismus ist es, sich nicht zu verändern, sondern sich nur zu bestätigen. Der erste Individualismus hat den Großverbänden zugesprochen, die Individuen zu transformieren. Isolde Charim erläutert: „Der Einzelne trat etwa einer Partei bei, die ihn verwandelte zu einem Parteimitglied oder zu einem Parteigenossen machte. Assoziation, Verband bedeutete damit auch: Veränderung des Individuums.“ Und das ist ein grundlegender Unterschied zum zweiten Individualismus. Geht es bei diesem doch darum, sich eben nicht zu verändern. Denn im Zeitalter des Authentizität geht es nicht nur darum, einen eigenen Weg zu wählen – eine eigene Kirche, eine eigene Partei oder sonst eine eigene Gruppierung –, sondern auch darum, dass diese „mich ansprechen“ muss. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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An der Oberfläche der Geschichte herrscht das Bewusste

Ein einfaches Modell ermöglicht eine geschichtliche Darstellung der menschlichen Gesellschaften und ihrer Veränderungen. Emmanuel Todd erläutert: „An der Oberfläche der Geschichte entdecken wir das Bewusste, die Wirtschaft der Ökonomen, die täglich in den Medien präsent ist und deren neoliberale Ideologie in einer merkwürdigen Rückbesinnung auf den Marxismus verkündet, dass sie das Ausschlaggebende sei. Zu diesem Bewussten, dem Schrillen, wie man sagen könnte, gehört natürlich auch die Politik.“ Etwas tiefer stößt man auf ein Unterbewusstes der Gesellschaft, auf die Bildung, eine Schicht, deren Bedeutung die Bürger und Kommentatoren erkennen, wenn sie an ihr reales Leben denken, während sich die orthodoxe Sicht weigert, vollauf anzuerkennen, wie entscheidend sie ist und wie stark sie auf die darüberliegende bewusste Schicht einwirkt. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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Beim Denken sollte die Vernunft herrschen

Das Denken nach Vernunft, die Verantwortlichkeit in Humanität, das Leben im Einklang mit der Natur sollte bei den Menschen im Vordergrund stehen. Denn dann scheint für Paul Kirchhof der Weg zu einer Erneuerung des Gemeinwesens in Freiheit geebnet. Diese Idee fand insbesondere in Frankreich verbreiteten politischen Widerhall. Sie hat aber die Repräsentanten des alten Feudalsystems nicht überzeugt. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ihr Widerstand war entschieden, hat den Erneuerern die Gelassenheit geraubt.“ Sie stürzten sich deshalb in eine Revolution. Diese führte jedoch letztlich zu Terror, Guillotine, Diktatur und Krieg. Die Revolutionäre vernichteten sich dabei weitgehend selbst. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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In Krisen muss die Politik die Konjunktur beleben

In schweren Wirtschaftskrisen erwartet man von der Politik, dass sie eingreift, um die Konjunktur zu stabilisieren. Clemens Fuest erläutert: „Steuern werden gesenkt und Staatsausgaben erhöht, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stützen. Die Notenbanken öffnen die Geldschleusen, um Banken und Unternehmen liquide zu halten.“ Die Coronakrise weist jedoch eine Reihe von Besonderheiten auf, die es erschweren, durch Fiskal- und Geldpolitik gegenzusteuern. Das lässt sich anhand des Vergleichs mit der globalen Finanzkrise erläutern. In der Finanzkrise gab es große Verwerfungen, weil Immobilienkredite platzten und Banken mit schwacher Eigenkapitalbasis kollabierten. Da Bankenpleiten sich sehr negativ auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken, sahen viele Regierungen sich gezwungen, Banken zu retten. Die Bankenrettungen mit Steuergeldern haben jedoch für viel Verbitterung in der Bevölkerung gesorgt. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Die Coronakrise stellt die Finanzkrise in den Schatten

Die Politik und die Wirtschaft können richtig auf die Coronakrise reagieren und die Folgen abfedern. Dazu müssen die Verantwortlichen aber die Tiefe des wirtschaftlichen Einbruchs und die Verteilung der damit verbundenen Lasten verstehen und einordnen. Das ist vor allem in der frühen Phase der Krise schwierig. Die Daten und Berechnungen, die bislang zur Verfügung stehen, sprechen aber dafür, dass die Coronarezession die globale Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 in den Schatten stellt. Clemens Fuest stellt jedoch fest: „Vergleiche mit der weltweiten wirtschaftlichen Depression der 1930er Jahre, die gelegentlich gezogen werden, erscheinen dagegen überzogen.“ Ob sich die Wirtschaft im Jahr 2021 so kräftig erholt wie in der Prognose des Internationalen Währungsfonds, ist allerdings offen. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Clemens Fuest kennt Wege aus der Rezession

Clemens Fuest beschreibt in seinem neuen Buch „Wie wir unsere Wirtschaft retten“, was die Wirtschaft und die Politik in Deutschland gegen die Rezession während und nach der Coronaepidemie tun kann. Zudem erklärt er die Auswirkungen der Coronakrise auf die deutsche, die europäische und die globale Wirtschaft. Er zeigt, wie sich die Staatsfinanzen konsolidieren lassen, die Digitalisierung nachhaltig gelingt und welche Reformen in der Eurozone notwendig sind. Bei allen Vorhaben spielt die Bildungspolitik seiner Meinung nach eine Schlüsselrolle. Vor allem beschäftigt sich Clemens Fuest in „Wie wir die Wirtschaft retten“, ob die Coronakrise dauerhafte Veränderungen mit sich bringt und falls ja, welche das sein werden und wie sich die Menschen darauf einstellen sollten. Clemens Fuest ist seit April 2017 Präsident des ifo Instituts.

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Otfried Höffe fordert eine ökosoziale Marktwirtschaft

Zu den Menschenrechten gehören Rechte wie das Recht auf Eigentum und eine freie Entfaltung der Persönlichkeit. Diese schließen die freie Teilnahme am Wirtschaftsleben, dabei sowohl die Berufsfreiheit des Konsumenten als auch die Unternehmerfreiheit, ein. Otfried Höffe fügt hinzu: „Mit den negativen Freiheitsrechten nicht zufrieden, verlangt der Gedanke der Menschenrechte aber nach zusätzlichen Markteinschränkungen. Damit sich die Freiheitsvision des Marktes nicht in Unfreiheit verkehrt.“ Deshalb erweitert ein sensibles Gemeinwesen seine wirtschaftspolitische Verantwortung. Außerdem verpflichtet es sich auf das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft. Dank dieses Leibildes ist die vor allem in West- und Nordeuropa vorherrschende Wirtschaftsgestalt zu einer Mischform von Privat- und Gemeinwirtschaft geworden. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Vertrauen ist so wichtig wie das Atmen

Das Vertrauen lebt davon, unbemerkt und so unauffällig wie nur möglich zu bleiben. All die guten Wirkungen, die Vertrauen hat, existieren, weil es unsichtbar ist und keine eigene Arbeit verlangt. Martin Hartmann schreibt in seinem neuen Buch „Vertrauen“: „Vertraue ich jemanden, dann denke ich nicht weiter nach, bin nicht misstrauisch und vorsichtig.“ Denn Nachdenken, so scheint es, zerstört Vertrauen. Das Nachdenken über das Vertrauen zeigt seine hellen und dunklen Seiten. Es trauert um seinen Verlust. Die Krise des Vertrauens besteht laut Martin Hartmann nicht darin, dass viele Menschen nicht mehr vertrauen können. Sie zeigt sich vielmehr darin, dass sie den Wert des Vertrauens kennen, aber nicht mehr in der Lage sind, Bedingungen zu schaffen, die der Ausbildung von Vertrauen zuträglich sind. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

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Tätige Freiheit ist keine Faulheit

Wer auf die antike Tradition zurückblickt, kann unter anderem folgendes erkennen: Die klassische „Oase“, das, was als das höchst Anstrebenswerte galt, war, von jeglicher Arbeit frei zu sein, um „Muße“ zu haben. Diese benötigte man für die wirklich wichtigen Dinge wie Philosophie, Politik und Kunst. Dazu braucht man zuerst einmal Freiheit vom Werk, von der Arbeit und vom Dauerstress. Sophie Loidolt ergänzt: „Erst dadurch öffnen sich die anderen Tätigkeitsräume des Betrachtens und des Erscheinens vor und mit anderen.“ Diese hervorgebrachte tätige Freiheit „zu“ ist daher keine Faulheit. Sie ist nur eine andere Form des Tätigseins als Arbeiten. Wer heutzutage Muße hat, wird leicht als dumpfer, aber keineswegs aufsässiger Typ angesehen. Prof. Dr. Sophie Loidolt ist Gastprofessorin am Philosophieinstitut der Universität Kassel und Mitglied der „Jungen Akademie“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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