Humor ist ein Gegengift gegen Fanatismus

Die Hälfte der von der Menschheit erzählten Witze stützt sich auf nationale, ethische, religiöse, soziale oder sexuelle Beleidigungen. Timothy Garton Ash weiß: „Seit mindestens 2500 Jahren genießen Komödie und Satire eine besondere Freiheit, die Grenzen von Zivilität, Anstand und Schicklichkeit zu überschreiten. Und schon genauso lange versuchen die Mächtigen den satirischen Geist zu unterdrücken.“ Humor wirkt entspannend wie ein Sicherheitsventil. Er bietet die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, über die man sonst schweigt. Und er ist ein unschätzbar wertvolles Gegengift gegen jeden Fanatismus. Der israelische Schriftsteller Amos Oz stellte einmal fest: „Ich habe niemals in meinem Leben einen Fanatiker mit Humor gesehen.“ Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Humor und Toleranz hängen eng zusammen

Amos Oz fährt fort: „Noch habe ich jemals gesehen, dass ein humorvoller Mensch zum Fanatiker geworden wäre.“ Die entwaffnende Fähigkeit des Humors ist nicht nur metaphorisch. Der Humor sprengt permanent konventionelle Grenzen der Zivilität, aber er ermöglicht und stärkt diese auch. Ohne es beweisen zu können, vermutet Timothy Garton Ash in jeder Gesellschaft eine starke Korrelation zwischen Humor und Toleranz. Bestenfalls untergräbt der Humor bewusst Vorurteile. Aber unter der Maske von Kunst und Humor können auch hasserfüllte und unter Umständen schädliche Vorurteile geäußert werden.

Selbst Komik hat ihre Grenzen; welche, muss durch ein künstlerisches und soziales Urteil bestimmt werden. Alles hängt davon ab, wer was wann wie und wo äußert. Was auf den Humor zutrifft, lässt sich in einem weiteren Sinne auch von Literatur und Kunst sagen. Laut dem tschechischen Romanschriftsteller Milan Kundera ist beides eng miteinander verbunden. Literatur, Theater, Film, Malerei, Bildhauerei und viele anderen Künste befähigen uns auf unzählige Arten, die Erfahrung anderer mit dem zu verstehen, was Martha Nussbaum als „innere Augen“ des Respekts und der mitfühlenden Fantasie bezeichnet.

Die Kunst kann viele Grenzen überwinden

Timothy Garton Ash erläutert: „Mit diesen inneren Augen können wir uns in Menschen hineinversetzen, die unter völlig anderen Umständen leben, und das Menschliche unter dem fremdartigen Erscheinungsbild entdecken.“ Der höchste Preis der freien Imagination besteht darin, „sich selbst als eine andere“ zu sehen, um eine denkwürdige Formulierung des französischen Philosophen Paul Ricœur (1913 – 2005) zu gebrauchen. Die Entfernung, die man durch Kunst überwinden kann, ist nicht nur geografisch und kulturell, sie ist auch historisch.

Wer in Gedanken durch die Jahrhunderte reist, stößt ebenfalls auf die Dualität tiefgreifender kultureller Unterschiede und gemeinsamer Menschlichkeit. Schriftsteller vermitteln eine wichtige Lektion, weil sie die Einstellungen ihrer Zeit zugleich reflektieren und transzendieren. Zensur kann sich auf viele Bereiche, wie etwa Politik, Journalismus oder Wissenschaft, erstrecken, doch es ist kein Zufall, dass besonders viele berühmte Fälle von Zensur Kunstwerke betreffen, denn die Kunst verletzt Regeln, genau wie der Humor. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies