Nicht nur Wirtschaftstheoretiker, sondern auch Philosophen setzen sich für den Wettbewerb ein. In der Neuzeit etwa von Montesquieu über David Hume und Condorcet bis Immanuel Kant. Montesquieu spricht im „Esprit des Lois“ (Geist der Gesetze, 1748) von der zivilisierenden Kraft des „sanften Handels“. Denn dieser löst den Krieg der Leidenschaften durch den Kompromiss zwischen divergierenden Kräften ab. Otfried Höffe ergänzt: „Und nach Kant ist der Mensch dazu bestimmt, alle seine auf den Vernunftgebrauch abzielenden Naturanlagen vollständig zu entwickeln. Das geschieht wiederum außer durch gezielte Förderung mittels eines Wettbewerbs. Denn dieser erweckt „alle Kräfte des Menschen. Er bringt ihn dahin, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen“.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Den wissenschaftlichen Markt prägt die Wahrheit
Immanuel Kant denkt hier nicht nur an einen ökonomischen Wettbewerb. Denn die segensreichen Wirkungen von Konkurrenz zeigen sich nicht bloß in der Wirtschaft. Ohnehin kann man den Markt in jenem formalen und zugleich erweiterten Sinn verstehen, der durch Konzentration auf einen von der Ökonomie unabhängigen Kern einen weit größeren Anwendungsbereich gewinnt. Im neuen, formalen Verständnis bleibt der Markt eine spontane, überdies anonyme Institution der Steuerung. Er ist eine Ordnungsform von Angebot und Nachfrage.
Deren Anwendung beschränkt sich aber nicht nur auf Waren, Dienstleistungen und Finanzprodukte. Und die Steuerung erfolgt nicht nur über das Geld oder das Kapital. Nach dem erweiterten Verständnis gibt es auch einen wissenschaftlichen Markt. In diesem konkurrieren geisteswissenschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und technische Methoden und Hypothesen miteinander um Anerkennung, letztlich sogar um ein Gemeinwohl. Dieser bestimmt sich aber jetzt, mit der Wahrheit als Leitidee, nicht in materiellen Begriffen, als wachsender Reichtum. Sondern es geht um die Zunahme an Einsicht bzw. objektiver Erkenntnis, gegebenenfalls auch an humaner Anwendbarkeit.
Selbst die Politik hat einen Marktcharakter
Otfried Höffe fügt hinzu: „Ferner gibt es einen künstlerischen Markt, in dem Musiker (Komponisten und Interpreten), Schriftsteller und Schauspieler, Maler, Bildhauer und Architekten untereinander um Aufmerksamkeit und Anerkennung konkurrieren.“ Selbst die Kritik am Markt hat ihren Markt. Deshalb erliegt die Kritik, sofern sie prinzipiell auftritt, einem pragmatischen Widerspruch: Sie lehnt ab, was sie im Ablehnen selber beansprucht. Ebenfalls gibt es einen Markt bei den Medien, also im Buch- und Pressewesen, in Radio und Fernsehen und nicht zuletzt bei den neuen Internetmedien.
Selbst die Politik, zumal die einer Demokratie, hat einen Marktcharakter. Da Personen, Parteien und Programme um Aufmerksamkeit in den Medien und um Zustimmung bei den Bürgern wetteifern. Dass der Markt und ein politisches Gemeinwesen in anderer Hinsicht Antipoden bleiben, ist davon unbenommen: Bei den Legitimationsgrundlagen stehen unterschiedliche Eigentumsrechte gleichen Staatsbürgerrechten gegenüber. Dort besteht das Leitziel idealiter im partikularen Wohl, hier im Allgemeinwohl. Und das Verfahren besteht vereinfacht gesagt dort im Tausch, hier in der Debatte, und das Medium dort in Geld, hier in der Macht. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies