Vertrauen ist so wichtig wie das Atmen

Das Vertrauen lebt davon, unbemerkt und so unauffällig wie nur möglich zu bleiben. All die guten Wirkungen, die Vertrauen hat, existieren, weil es unsichtbar ist und keine eigene Arbeit verlangt. Martin Hartmann schreibt in seinem neuen Buch „Vertrauen“: „Vertraue ich jemanden, dann denke ich nicht weiter nach, bin nicht misstrauisch und vorsichtig.“ Denn Nachdenken, so scheint es, zerstört Vertrauen. Das Nachdenken über das Vertrauen zeigt seine hellen und dunklen Seiten. Es trauert um seinen Verlust. Die Krise des Vertrauens besteht laut Martin Hartmann nicht darin, dass viele Menschen nicht mehr vertrauen können. Sie zeigt sich vielmehr darin, dass sie den Wert des Vertrauens kennen, aber nicht mehr in der Lage sind, Bedingungen zu schaffen, die der Ausbildung von Vertrauen zuträglich sind. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

In der Liebe ist das Vertrauen am größten

Martin Hartmann stellt fest: „Wir trauern um den Verlust des Vertrauens, aber fürchten uns vor heilenden Maßnahmen.“ Wer vertraut, macht sich verletzlich. Das ist das, was manchmal als Risiko des Vertrauens bezeichnet wird. Eine Aufgabe, die sich Martin Hartmann mit diesem Buch vornimmt, ist die, zu zeigen, dass ein richtig verstandenes Vertrauen Biss hat. Im Vertrauen steht etwas auf dem Spiel. Denn wer Vertrauen will, der muss bereit sein, das zu tun, was den Vertrauenswürdigen auszeichnet.

Was sie meisten Menschen über Vertrauen wissen, haben sie in engen Beziehungen kennengelernt. Dort entfaltet es sich oder scheitert. Vor allem die Liebe ist der Ort, wo das Vertrauen unsichtbar, wo man es kaum bemerkt, wenn es da ist. In einer romantischen Liebesbeziehung kann sich das Vertrauen zu deren Kern erheben. Nirgendwo lassen die Menschen so viel Nähe zu, so viel Verletzlichkeit und Intimität wie in der Liebe. Und nirgendwo vertrauen sie so sehr darauf, dass diese Nähe und Verletzlichkeit nicht ausgenutzt wird.

In der Politik tut der Vertrauensverlust am meisten weh

Gegen Ende seiner Überlegungen spricht Matin Hartmann ein Thema an, das für ein Buchkapitel eigentlich zu groß ist: Politik und Vertrauen. Der vielbeklagte Vertrauensverlust, in der Politik ist er am dramatischsten und am auffälligsten. Hier scheint er auch am meisten weh zu tun. Populismus, Rechtsruck und der neue Nationalismus dominieren die Debatten. Der gegenwärtige Vertrauensbruch liegt nicht darin, dass die Regierung mehr Sicherheit für die Bürger will. Er liegt vielmehr darin, dass die Bürger am Prozess der genauen Abstimmung über Sicherheits- und Freiheitsbedürfnisse nicht wirklich involviert sind. Man denke an die Diskussion über die Maskenpflicht in der Coronakrise.

Martin Hartmann fasst zusammen: „Die Krise des Vertrauens besteht nicht nur in der Schwierigkeit, Vertrauenswürdigkeit auf erfahrbare Weise ausfindig zu machen oder wirklich werden zu lassen. Sie besteht auch darin, dass wir oft unehrlich sind, wenn es um unsere Bereitschaft geht, anderen Vertrauen zu schenken.“ Aber Vertrauen kann nicht sicher sein, sonst wäre es nicht, was es ist. Dem Vertrauen Luft zum Atmen zu geben heißt, ihm Räume zu gewähren, in denen es sich entfalten kann. Ohne diese Räume abzudichten, um sie vor Gefahren zu schützen.

Vertrauen
Die unsichtbare Macht
Martin Hartmann
Verlag: S. Fischer
Gebundene Ausgabe: 300 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-10-000068-2, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies

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