Die „Kritische Theorie“ ist das Thema der neuen Sonderausgabe 19 des Philosophie Magazins. Die Chefredakteurin Catherine Newmark schreibt in ihrem Editorial: „Das innige Zusammenwirken von Theorie und Praxis, von Verstehen und Handeln, ist sicherlich eines der Hauptmerkmale der sogenannten „Kritischen Theorie“, auch bekannt als „Frankfurter Schule“, angefangen bei ihren Gründungsvätern Theodor W. Adorno und Max Horkheimer – und bis heute.“ Was die Überlegungen derjenigen antreibt, die sich dieser philosophischen Denkrichtung verpflichtet fühlen, ist der Stachel der Unzufriedenheit. Den Auftakt der Sonderausgabe macht ein großes Interview mit Jürgen Habermas, der zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart zählt. An der aktuellen Politik kritisiert er, dass sie auf Orientierung, Gestaltungswillen und Perspektive verzichtet. Sie passt sich opportunistisch der wachsenden Komplexität der beunruhigenden Verhältnisse an – ohne noch erkennbar irgendetwas zu wollen.
Die Kritische Theorie will die Gesellschaft verändern
Im Zentrum der Kritischen Theorie steht auch der Begriff der Vernunft. Im Prozess der Aufklärung, so Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, hat die Menschheit ihre Fähigkeit, vernünftig zu denken und zu handeln, immer weiter ausgebaut. Dabei besteht jedoch auch die Gefahr, dass die Vernunft zu einer rein kalkulierenden und instrumentellen wird, die sich letztlich gegen die Interessen der Menschen wendet. Das zeigt sich am Totalitarismus, aber auch in einer destruktiven Ausbeutung der Natur.
Ein Kernvorhaben der Kritischen Theorie ist es, Ideologien aufzudecken und so zu gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen. Denn alle Menschen sind durch ihre Sozialisation in ideologischen Denkmustern gefangen. Diese bestimmen die Art und Weise, wie sie die Welt sehen und wie sie sich darin bewegen. Jan Rehmann, der unter anderem Philosophie und Gesellschaftstheorie an der Freien Universität Berlin lehrt, beantwortet die Frage, ob Ideologiekritik weiterhin notwendig ist: „Ja, schon allein, um nicht immer wieder auf die Sprechblasen der Unternehmerverbände, der Politiker, der Mainstreammedien reinzufallen.“
Arbeit und Demokratie bilden normative Gegenwelten
Arbeit steht heute wie in den Anfängen der Kritischen Theorie im Zentrum der Kritik. Während Theodor W. Adorno und Max Horkheimer von Verdinglichung und Entfremdung sprachen, sucht der Philosoph Axel Honneth nach neuen Begrifflichkeiten. Seiner Meinung nach sollte die Arbeitswelt in einer Form strukturiert sein, die Demokratie und Mitsprache befördert und ihnen nicht entgegensteht. Die Sphären von Arbeit und der Demokratie stehen heutzutage in einem starken Widerspruch. Sie bilden laut Axel Honneth normative Gegenwelten.
Zu den prägenden Denkern der Kritischen Theorie zählen auch Erich Fromm und Herbert Marcuse. Erstgenannter ist nicht zuletzt maßgeblich für die Synthese marxistischer Theorie und freudscher Psychoanalyse in der Kritischen Theorie verantwortlich. Herbert Marcuse dagegen stach unter den Denkern der Frankfurter Schule stets als derjenige heraus, der utopisches Potenzial trotz aller gesellschaftlichen Probleme sah. Für Nancy Fraser, eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart, war Herbert Marcuse eine sehr charismatische Figur innerhalb der Neuen Linken: „Sein Buch „Der eindimensionale Mensch“ hatte einen enormen Einfluss auf meine Generation. Ich hatte das Gefühl, dass er darin etwas in Worte fasste, das ich in der amerikanischen Kultur schon länger spürte.“
Von Hans Klumbies