Wer auf die antike Tradition zurückblickt, kann unter anderem folgendes erkennen: Die klassische „Oase“, das, was als das höchst Anstrebenswerte galt, war, von jeglicher Arbeit frei zu sein, um „Muße“ zu haben. Diese benötigte man für die wirklich wichtigen Dinge wie Philosophie, Politik und Kunst. Dazu braucht man zuerst einmal Freiheit vom Werk, von der Arbeit und vom Dauerstress. Sophie Loidolt ergänzt: „Erst dadurch öffnen sich die anderen Tätigkeitsräume des Betrachtens und des Erscheinens vor und mit anderen.“ Diese hervorgebrachte tätige Freiheit „zu“ ist daher keine Faulheit. Sie ist nur eine andere Form des Tätigseins als Arbeiten. Wer heutzutage Muße hat, wird leicht als dumpfer, aber keineswegs aufsässiger Typ angesehen. Prof. Dr. Sophie Loidolt ist Gastprofessorin am Philosophieinstitut der Universität Kassel und Mitglied der „Jungen Akademie“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Es gibt die gute und die schlechte Faulheit
Faul darf man heue sein, um seinen Cortisonspiegel zu senken, der sich wegen des Dauerstresses erhöht hat. Sophie Loidolt nennt nur einen paradigmatischen Buchtitel aus dem Jahr 2014: „Vom Glück der Faulheit: Langsame leben länger. So teilen Sie ihre Lebensenergie richtig ein.“ Die selbstverständliche Verachtung der Arbeit, wie sie in der Antike praktiziert wurde, reichte teilweise noch bis in den dekadenten Adel des 19. Jahrhunderts hinauf. Wie steht es also heute mit der Faulheit? Die Taschenuhr hat der Mensch gegen das Smartphone, die Landpartie in Kurse in Stressreduktion, Yoga oder Wellness ausgetauscht. Und alles ist noch ein bisschen schneller geworden.
Eine Kultur der Faulheit ist eher so grandiosen Ikonen vorbehalten wie der Figur des „Dude“ aus „The Big Lebowski“ der Coen-Brüder. Dieser entfaltet auch eine gewisse Subversivität in seiner unfähigen Herumlungerei. Sophie Loidolt weiß: „Gesamtgesellschaftlich aber sind die „Erfahrungen“, die wir mit dem Faulsein machen, eher von einem medizinisch-gesundheitlichen Diskurs normiert und durchzogen.“ Man trifft ihn in zwei Geschmacksrichtungen an. Entweder er pathologisiert die Faulheit, also „schlechte Faulheit“, oder er identifiziert sie als die Gesundheit fördernde, „gute Faulheit“, die dann auch gleich fleißig vermarktet wird.
Die gute Faulheit soll ein längeres Leben ermöglichen
Die dunkle Seite der Faulheit zeichnet sich wie folgt aus: depressive Verstimmung, Burn-out, Prokrastination, Antriebslosigkeit. Gleichzeitig lechzt die Stressgesellschaft nach Wochenende, Urlaub, „Seele baumeln lassen“ oder gleich raffinierteren Entspannungstechniken wie „Mindfulness“ und Wellnessstrategien, die jedem „gute Faulheit“ und ergo bessere Gesundheit und längeres Leben ermöglichen sollen. Auch wenn das in gewisser Weise alles ein bisschen gekünstelt und bemüht wirkt.
Letztlich scheint man sich auch für das Faulsein irgendwie lächerlich abstrampeln zu müssen. Denn kaum hat es das „animal laborans“ von heute geschafft, sich kurz von seinen Arbeits-E-Mails zu trennen, stürzt er sich in den Social Media-Wahnsinn oder dröhnt sich mit anderen Ablenkungen zu. Da braucht man dann schon einen Trainer oder einen stylischen Klosterurlaub, um der unaufhörlichen Betriebsamkeit und Erreichbarkeit zu entkommen. Der „Mut zur Faulheit“ wäre natürlich etwas völlig anderes. Dieser muss Faulheit aus Widerstand sein und das geht nur mit einer großen Portion Ironie. Quelle: „Lust und Frust des animal laborans“ von Sophie Loidolt in „Mut zur Faulheit“
Von Hans Klumbies