Europa erfindet die Demokratie

Zu den Hochwerten der europäischen Kulturgeschichte gehört die Erfindung der Demokratie. Sie wird heute in allen großen Reden auf die Europäische Union (EU) als eine Haupterrungenschaft der europäischen Kultur gepriesen. Verbunden ist sie mit Begriffen wie Toleranz, Menschenrechte, Freiheit und anderen mehr. Silvio Vietta weiß natürlich auch: „Dabei hatte die Demokratie in Europa lange Zeit einen schweren Stand. Der Wert der Demokratie war nämlich immer auch umstritten. Ist sie nicht auch eine Form der Pöbel-Herrschaft? Gibt sie nicht Macht in Hände, die damit nicht vernünftig und rational umgehen können?“ Und handelt es sich eigentlich noch um eine gut funktionierende Demokratie, wenn bei vielen Wahlen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung gar nicht mehr von seinem Wahlrecht Gebrauch macht? Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Weiterlesen

Die Kreuzzüge zielten auf die Reinigung der Welt von Heidenbrut

Die Kreuzzüge ins Heilige Land nahmen 1095 ihren Anfang. Papst Urban II. hatte dazu aufgerufen, den bedrängten Byzantinern zu Hilfe zu eilen und gegen das „verruchte Heidenvolk“, das die heiligen Stätten besetzt hielt, zu ziehen. Der Geist, der die Papstreform und die Kämpfe in Italien und Spanien inspirierte, trug auch die Kreuzzüge. Bernd Roeck erläutert: „Sie zielten auf Reinigung der ganzen Welt von Heidenbrut, jetzt, wo vielen der Jüngste Tag nahe schien. Der demographische Aufschwung produzierte Krieger; Freiheit und Abenteuer lockten.“ Europas Adel fand Gelegenheit, Ruhm und Seelenheil zu verdienen, dazu neues Land und Sklaven – sei es im Kampf gegen die Mauren, gegen Ketzernester und Götzenanbeter im Norden und Osten. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Weiterlesen

In der Armee können die Tage endlos sein

Als ich die vorletzte Seite des Romans „Tage ohne Ende“ las, liefen mir die Tränen über meine Wangen. Das ist mir zum letzten Mal vor circa 30 Jahren passiert, als ich das Buch „Der weiße Dampfer“ von Tschingis Aitmatow gelesen habe. „Tage ohne Ende“ handelt von der Liebe zweier irischer Soldaten in der Zeit der Indianerkriege und dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Bis zu ihrem Eintritt in die amerikanische Armee tanzten der Icherzähler Thomas McNulty und John Cole in Frauenkleidern in einem Saloon. In den Augen der einsamen Bergarbeiter waren sie junge hübsche Mädchen, deren Anblick sie für einige Minuten ihr Elend vergessen ließ. Der irische Autor Sebastian Barry erhielt als erster Schriftsteller überhaupt für seinen Roman „Tage ohne Ende“ zum zweiten Mal den Costa Book of the Year Award 2016.

Weiterlesen

Kaum ein Mensch kann seine Herkunft erfolgreich verleugnen

Im Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2015, Dezember/Januar, geht es um die Frage, ob sich ein Mensch jemals seiner Herkunft entledigen kann. Auf der einen Seite stiftet Herkunft Identität und seine biographischen Wurzeln geben dem Individuum Halt und Sinn. Auf der anderen Seite beschränkt die Herkunft die persönliche Freiheit, kann in manchen Fällen sogar ein Grund für Diskriminierung, Enge und Depression sein. Viele große Denker der Moderne waren sich deshalb einig: „Löse Dich von den Fesseln der Herkunft! Werde du selbst, indem du mit deinem Erbe brichst!“ Peter Sloterdijk legt in einem Gespräch mit Chefredakteur Wolfram Eilenberger dar, worum diese Form der Verleugnung der Herkunft die eigentliche Ursünde der Moderne darstellt. Svenja Flaßpöhler argumentiert: „Nur wer sich seiner Herkunft stellt, muss sie nicht wiederholen.“

Weiterlesen

Yuval Noah Harari erklärt das indische Kastenwesen

Alle Gesellschaften basieren auf erfundenen Hierarchien, wobei diese recht unterschiedlich aussehen können. Die indische Gesellschaft teilte zum Beispiel die Bevölkerung nach Kasten ein, die ottomanische unterschied sie nach Religionen und die amerikanische nach der Hautfarbe. Yuval Noah Harari begründet dies wie folgt: „In den meisten Fällen war der Grund eine willkürliche historische Verwerfung, die im Lauf der Generationen zu einem Graben wurde, weil bestimmte Gruppen ein Interesse daran hatten.“ Das indische Kastensystem wurde erfunden, als vor rund 3.000 Jahren arische Stämme nach Nordindien vordrangen und die einheimische Bevölkerung unterjochten. Die Eroberer errichteten eine hierarchische Gesellschaftsordnung, in der sie als Priester und Krieger die obersten Ränge einnahmen, während die Einheimischen als Diener und Sklaven schuften mussten. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Weiterlesen