Der politische Gehalt der Freiheit verändert sich ständig

Der politische Gehalt dessen, was Freiheit sein soll, hat sich im Lauf der Zeiten immer wieder verändert. Hans-Jürgen Papier blickt zurück: „Im klassischen Griechenland war die Demokratie Sache der Freien, Besitzenden und Gebildeten. Das schloss die große Mehrheit der Menschen aus. In den feudalen Gesellschaften des Mittelalters herrschten starke Hierarchien und eine unverrückbare Ordnung von Abhängigkeiten. Der Grad an Freiheit des einzelnen Menschen hing vom Grad seiner Macht ab.“ Einer überwiegenden Mehrheit unfreier Bauern stand eine sehr viel kleinere Gruppe von Freien, Lehnsherren und Lehnsleuten gegenüber. Die Lehnsleute wiederum waren ihren Lehnsherren als Vasallen verpflichtet, Dients und Gehorsam zu leisten. Da die Kirche nicht mehr wie im Römischen Reich Staatskirche war, gab es nebeneinander weltliche und kirchliche Herrscher und Hierarchien. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Die Menschen in den Städten emanzipieren sich

Und da die Ordnung nicht nur politisch-rechtlich, sondern in erster Linie religiös legitimiert war, wies sie auch Königen und Päpsten die ihnen bestimmten Plätze zu. Nämlich als Vasallen oder Statthalter Gottes auf Erden. Hans-Jürgen Papier weiß: „Freiheit existierte nur in Form von Privilegien, also Sonderrechten. Personen oder Gruppen wie Zünfte und Stände konnten in den Genuss der obrigkeitlichen Privilegien, etwa der Freiheit von Steuerbelastungen, kommen.“

Diese rechtliche Sonderstellung wurde gewährt, um die bestehenden Machtverhältnisse zu festigen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Privilegierten, Recht und Machtbereich des Herrschers anzuerkennen und zu erhalten. Diese frühmittelalterliche Ordnung aus Adel, Klerus und Bauern veränderte sich allmählich ab dem 12. Jahrhundert, als es zu zahlreichen Neugründungen von Städten kam. Anders als die Bauern auf dem Land begannen die Menschen in den Städten, sich gegenüber Fürsten und Reich zu emanzipieren und sich selbst zu verwalten.

Das römisch-katholische Weltbild gerät ins Wanken

Den Bauern und Leibeigenen eröffnete sich damit eine Perspektive zur – wenn auch keineswegs einfachen – Flucht. Wem es gelang, innerhalb der Stadtmauern für mindestens ein Jahr unterzutauchen, der konnte für sich das Recht in Anspruch nehmen, frei zu sein. „Stadtluft macht frei“, lautete eine damals verbreitete Losung, die den zugrundeliegenden Rechtsgrundsatz wiedergab. Allerdings liefen Zuzügler auf diesem Weg Gefahr, nur eine Unfreiheit gegen eine andere einzutauschen. Denn auch der Erwerb des Stadtbürgerrechts war eine teure Angelegenheit.

Hans-Jürgen Papier stellt fest: „Wenig später forderten Renaissance und Humanismus die mittelalterliche Ordnung mit neuen Ideen und einer Rückbesinnung auf antike Politik- und Philosophietraditionen heraus.“ Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern führte zu einer potenzierten Verbreitung und Verfügbarkeit von Wissen. Die Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus weckte Hoffnungen auf bis dahin nicht vorstellbare Freiheiten. Und das über Jahrhunderte bestimmende, vornehmlich römisch-katholische Weltbild geriet nach und nach ins Wanken. Quelle: „Freiheit in Gefahr“ von Hans-Jürgen Papier

Von Hans Klumbies

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