Die Deutsche Frage stellt sich nach wie vor

In seinem neuen Buch „German Power“ geht der Politikwissenschaftler Hans Kundnani dem Wandel Deutschlands nach der Wiedervereinigung 1990 nach und stellt ihn in den Zusammenhang der deutschen Geschichte vor 1945. Dabei zeigt er auffällige Ähnlichkeiten auf und benennt eine Reihe von Grundkonflikten, die damals wie heute die Paradoxien der deutschen Rolle in Europa beschreiben. Deutschland ist zu mächtig, um nicht eine führende Rolle in Europa einzunehmen, aber zugleich zu schwach, um der Europäischen Union (EU) seinen Willen aufzwingen zu können. Es operiert auf der Grundlage einer labilen geoökonomischen Halbhegenomie und läuft damit stets Gefahr, von der Ordnungsmacht zu einer Quelle der Instabilität im Zentrum Europas zu werden. Denn für die europäischen Nachbarn gelten nicht Hilfsbereitschaft und Weitsicht als Kennzeichen deutscher Politik, sondern selbstgerechtes Streben nach Dominanz und ökonomischen Vorteil. Der Politikwissenschaftler Hans Kundnani ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund.

Deutschland verordnete der Eurozone eine harte Austeritätspolitik

Die Euro-Krise im Jahr 2010 beförderte Deutschland in eine außergewöhnliche Position. Die gesamte Eurozone blickte auf Deutschland und erwartete Führungsstärke. Doch aus Angst vor einer Transferunion widersetzte sich Deutschland einer Vergemeinschaftung der Schulden und verordnete anderen Staaten in der Eurozone eine harte Austeritätspolitik, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Dieser Ansatz hat die Kluft zwischen Überschuss- und Schuldenstaaten in mancherlei Hinsicht vertieft statt verringert.

Im Mittelpunkt der Geschichte, die offenbar irgendwie nach Europa zurückgekehrt ist, steht für Hans Kundnani die Deutsche Frage. Siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist deutsche Macht wieder Gegenstand intensiver Debatten. Seit Beginn der Krise ist es fast zu einem Gemeinplatz geworden, von einem deutschen Europa zu sprechen, das nunmehr entstehe. Neben dieser Debatte über deutsche Macht in Europa gab es in den letzten Jahren auch eine Diskussion über Deutschlands Bindung an den Westen.

Hans Kundnani untersucht die deutsche Außenpolitik von 1871 bis heute

Auf die schwierige Frage, ob Deutschland heute in gewisser Weise kehrt macht auf seinem langen Weg nach Westen, muss man zunächst verstehen, was es mit der Deutschen Frage ursprünglich auf sich hatte – und wie sie nach zwei Weltkriegen beantwortet wurde. Im Kapitel 1 befasst sich Hans Kundnani deswegen mit der deutschen Außenpolitik von 1871 bis 1945. In Kapitel 2 untersucht der Autor die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland von ihrer Gründung 1949 bis 1990. In den Kapiteln 3 bis 5 fragt Hans Kundnani nach der Entwicklung der deutschen Außenpolitik seit der Wiedervereinigung 1990.

In Kapitel 6 wirft der Politikwissenschaftler einen Blick auf Entwicklungen seit dem Beginn der Eurokrise 2010, die sich in seinen Augen weitgehend durch die Veränderungen der nationalen Identität Deutschlands und seiner Volkswirtschaft erklären lassen, die sich in den zwei Jahrzehnten zwischen Wiedervereinigung und Ausbruch der Krise vollzogen hat. Hans Kundnanis Schlussfolgerung lautet, dass sich die Deutsche Frage heute in neuer Form wieder stellt. Und wieder ist sie durch ein komplexes Zusammenspiel struktureller und ideologischer Faktoren bestimmt.

Germann Power
Das Paradox der deutschen Stärke
Hans Kundnani
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 207 Seiten, Auflage: 2016
ISBN: 978-3-406-68863-8, 18,95 Euro

Von Hans Klumbies

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