Der Kapitalismus hat seine Wuzeln im Protestantismus

Geld bedeutet heute eigentlich nichts, außer man glaubt daran. Ursprünglich waren die Menschen der Ansicht, ein Silber- oder Goldstück enthalte eine geeichte Menge Silber oder Gold. Später glaubten sie, ein Geldschein könne in Gold eingetauscht werden, weil jedes Land in seiner Staatsbank genügend Goldvorräte habe. Paul Verhaeghe ergänzt: „Heute geht es um den Glauben, dass Banken, Staaten und Institutionen ihre Schulden zurückzahlen können.“ Die Macht des Geldes liegt wie diejenige der Autorität auf dem Glauben an eine externe Grundlage. Früher war das eine greifbare Garantie, nämlich die nationale Goldreserve. Heute basiert sie auf Kreditwürdigkeit. Der Glaubensaspekt beschränkt sich nicht nur auf das Geld, sondern betrifft die gesamte Ökonomie des freien Marktes an sich. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Der Kapitalismus absorbiert jede Bedrohung

Vor hundert Jahren verortete der deutsche Soziologe Max Weber die Wurzeln des Kapitalismus im Protestantismus. Und seither habe viele Autoren dies weitergeführt. Viele Menschen glauben, sie hätten die Religion hinter sich gelassen. Doch in Wahrheit ist der heutige Kapitalismus eine möglicherweise noch unterbitterlichere säkulare Version des Christentums. Alles basiert auf Schuld, doch die Möglichkeit der Erlösung ist verschwunden. Das System ist so geartet, dass diese finanzielle Schuld niemals abgelöst werden kann und an die folgenden Generationen weitergegeben wird.

Paul Verhaeghe erklärt: „Der neoliberale Kapitalismus ist schon seit einiger Zeit ein sich selbst erhaltendes System. Teils, weil Margaret Thatchers Credo der fehlenden Alternative auch von unseren Politikern drehleierartig wiederholt wird. Teils, weil es als dominantes System höchst erfolgreich jede Bedrohung einfach absorbiert und neutralisiert.“ Die revolutionären Werte der 68er wie Authentizität, Kreativität und Autonomie sind schon seit geraumer Zeit als Tugenden des „freien“ Marktes etabliert.

Krisen verfestigen das kapitalistische Systems

Die Überzeugung, die immer mehr Menschen teilen, dass diese Wirtschaftsform einen immanenten Fehler im System trägt, führt häufig zu der Annahme, dass man nichts zu tun braucht. Das System wird schon von ganz alleine einstürzen. Paul Verhaeghe kennt allerdings die Fakten, die dagegen sprechen: „Die vielen Krisen sorgen nur für eine Verfestigung des Systems. Lösungen für jede einzelne Krise laufen auf stets noch mehr neoliberale Maßnahmen hinaus.“ Wenn zum Beispiel ein Nationalstaat eine Bank übernimmt, funktioniert dieser Nationalstaat in kürzester Zeit selbst wie ein Unternehmen, dass ein Rating von einer Kredit-Ratingagentur bekommt.

Ratingagenturen wurden dann notwendig, als Unternehmen nur noch aufgrund von gewaltigen Krediten funktionierten. Sie sollten beurteilen, ob ein bestimmter Konzern seine Schulden eigentlich zurückzahlen kann. Von dem Moment an, als der Goldstandard für nationale Währungen aufgehoben wurde, beurteilten Kredit-Ratingagenturen auch Länder und untersuchten, ob ein Land seine Schulden bedienen kann. Das Problem dabei ist, dass diese Agenturen ganz in dieses System integriert sind und ihren Rat sowohl an die Schuldner wie auch an die Kreditgeber verkaufen. Deshalb haben sie ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Quelle: „Autorität und Verantwortung“ von Paul Verhaeghe

Von Hans Klumbies

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