Deutsche lehnen Schulden vehement ab

In seinem neuen Buch „Geld oder Leben“ weist Marcel Fratzscher darauf hin, dass es in Deutschland kaum ein emotionaleres Thema gibt als Geld und Schulden. Die Deutschen unterscheiden sich dabei stark von anderen Nationen. Sie sparen nicht nur mehr, sondern auch anders. Sie nehmen häufiger Gefahren für ihr Geld wahr und lehnen Schulden so vehement ab wie kaum jemand anders auf der Welt. Marcel Fratzscher schreibt in der Einleitung: „Die Vorstellung, Schulden seien schlecht und moralisch verwerflich und Sparen etwas Gutes, ist zu einer Grundüberzeugung und Teil unserer Identität geworden.“ Staat und Gesellschaft fördern das Sparen und schützen Vermögen. Sie wollen den Bürgern eine maximale Sicherheit und Schutz ihres Ersparten ermöglichen. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Vermögen sind in Deutschland extrem ungleich verteilt

Das Verhältnis der Deutschen zum Geld ist geprägt von Angst, Scham und Schuld. Sie haben große Angst vor einer Inflation und fürchten eine Enteignung durch Geldentwertung. Die zentrale These von Marcel Fratzscher in seinem Buch „Geld oder Leben“ lautet: „Unser Verhältnis zu Geld und Schulden ist geprägt von Widersprüchen und spaltet unsere Gesellschaft. Es führt dazu, dass Vermögen so ungleich verteilt wie kaum in einer anderen westlichen Gesellschaft und zunehmend weiter auseinanderklaffen.“

Deshalb fordert Marcel Fratzscher eine grundlegende Steuerreform, die Arbeit finanziell entlastet und Vermögen stärker belastet. Eine faire und angemessene Erbschaftssteuer ist längst überfällig. Die Politik muss Sozialpartnerschaften stärken und Menschen mit geringem Einkommen und einer fehlenden Lobby eine viel stärkere Stimme geben. Dazu gehört auch die Abschaffung der Minijobs und eine ehrliche Diskussion darüber, wie man Leistung in Deutschland definiert und honoriert.

Geld an sich hat keinen Wert

Sparen per se ist genauso wenig gut, wie Schulden per se schlecht sind. Sparen und Schulden sind Spiegelbilder, die einander bedingen. Von der Bundesregierung fordert Marcel Fratzscher, massiv neue Schulden aufzunehmen. Denn Schulden für Klimaschutz, digitale Transformation und soziale Erneuerung sind die besten Schulden, die eine neue Bundesregierung machen kann. Denn sie schützen den Wohlstand und vor allem auch die Interessen künftiger Generationen.

Marcel Fratzscher fordert den Gesellschaftsvertrag der sozialen Markwirtschaft so zu reformieren, dass er für alle Menschen funktioniert. Geld und Vermögen sind dafür wichtige Instrumente, können und sollten jedoch nie ein Ziel an sich sein. Denn Geld an sich hat keinen Wert, sondern nur die Dinge, die durch Menschen, auch mithilfe von Geld, möglich gemacht werden. Marcel Fratzscher verlangt: „Daher brauchen wir dringend einen rationalen und ehrlichen Diskurs über Geld und Schulden, über Zinsen und Inflation und über das, was für uns als Gesellschaft einen realen und nachhaltigen Wert hat.“

Geld oder Leben
Wie unser irrationales Verhältnis zum Geld die Gesellschaft spaltet
Marcel Fratzscher
Verlag: Berlin
Gebundene Ausgabe: 248 Seiten, Auflage 2: 2022
ISBN: 978-3-8270-1456-6, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies