So entstand das Geld

Geld ist erfunden worden, um den Austausch von Gütern zu erleichtern, sagt die Mehrzahl der Ökonomen. Anfangs hat man einfach nur Naturalien getauscht. Das Weggegebene war gewissermaßen das Geld; das, was man dafür bekam, die Ware. Vor allem Edelmetalle empfahlen sich später als allgemeine Tauschmittel. Christoph Türcke schreibt: „Man begann den Wert, den tauschbare Gebrauchsgüter für den Besitzer oder den Erwerber hatten, in Edelmetallmengen auszudrücken und bekam so eine allgemein anerkannte Währung, die sich als Regelwerk des Austauschs als außerordentlich praktisch erwies.“ So stellte sich zum Beispiel der griechische Philosoph Aristoteles die Entstehung des Geldes vor und die Pioniere der politischen Ökonomie der Neuzeit, John Locke, Adam Smith, David Ricardo und ihre Anhänger, sind ihm darin gläubig gefolgt. Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

Das Wort „Geld“ stammt vom angelsächsischen „gilt“ ab

Selbst der Kritiker der politischen Ökonomie Karl Marx ist diesem Märchen der Geldentstehung aufgesessen. Das Wort „Geld“ hingegen führt auf eine ganz andere Spur. Es kommt nicht, wie viele meinen, von Gold, sondern vom angelsächsischen „gilt“: Schuld, Geschuldetes. Damit waren zunächst keine privaten Schulden gemeint, sondern etwas, was archaische Kollektive höheren Mächten zu schulden glaubten: Opfer. Gilde heißt ursprünglich Opfergemeinde, nicht Handwerkszunft.

Und geopfert wurden nicht Gold- oder Silberstücke, sondern lebendige Wesen, und gerade die unentbehrlichsten: eigene Stammesgenossen und gezähmte Großtiere. Warum tat man das? Christoph Türcke kennt die Antwort: „Das ist anfangs, in der Altsteinzeit, schwerlich absichtsvoll kalkulierte Tat gewesen, eher ein Notwehrreflex.“ Und zwar verfielen darauf Hominiden, die im Vergleich zu ihrem Körpervolumen ein unverhältnismäßig großes Gehirn hatten, also besonders stark von Nerven durchzogen waren.

Götter sind mit Zahlungen bedacht worden

Schuld und Zahlung sind als Linderungsmittel in die Welt gekommen, als Maßnahmen archaischer Anästhesie. Und die höheren Mächte, die man später Götter nennt, sind nicht zuerst durch Imagination ausgeheckt und dann mit Zahlungen bedacht worden, sie sind vielmehr durch Zahlungen konstruiert worden. Sie waren das erste Zahlungsziel. Die Zahlung war blutig real, das Zahlungsziel war hingegen imaginär. Aber die Imagination, die damit begann, eröffnete einen epochalen Notausgang aus der Naturgeschichte der Traumatisierung: Sie deutete einen zwanghaften Notwehrreflex als Sinngeschehen.

Deutung begann als Umwendung, und mit dieser Umwendung – Friedrich Nietzsche spricht von Umwertung, Sigmund Freud von Umkehrung – begann spezifisch menschliche Kultur. Anders gesagt: Sie begann mit der Erfindung der Zahlung. Schlachtopfer sind nicht nur Urzahlungen gewesen, sondern auch Urwährungen: stets für ein ganzes Kollektiv verbindlich und repräsentativ. Und weil sie schreckliche Währungen waren, waren sie stets vom Wunsch nach weniger schrecklichen begleitet. Die Geschichte der Zahlungsmittel wird nur als Substitutionsgeschichte verständlich. Quelle: „Gott und die Welt“ von Konrad Paul Liessmann (Hrsg.)

Von Hans Klumbies