Die Ökonomie missbraucht die Ideen der Aufklärung

Es ist für Philipp Blom erstaunlich zu sehen, was im Zusammenhang des verabsolutierten Marktes aus den Ideen der Aufklärung wird, die ein fester Bestandteil seiner Theorien sind. Hier wie dort sind Menschen rational, liegt ihr Heil in der Vernunft. Beide sind universalistisch und tolerant. Sie gehen davon aus, dass Menschen von Geburt an mit Freiheiten und Rechten ausgestattet sind. Beide sehen optimistisch in die Zukunft, die besser, gerechter und wohlhabender sein wird. Der alles entscheidende Unterschied wird laut Philipp Blom allerdings wirksam, wenn diese Gedanken aus dem Kontext der philosophischen Debatte in den der ökonomischen Theorie transportiert werden und dabei ihre qualitativen Aspekte verlieren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Das gute Leben liegt nur noch im Wirtschaftswachstum

In der ökonomischen Theorie gilt dann folgendes: Nur was zählbar ist, besteht auch. Alles lässt sich quantifizieren, wenn man nur die richtigen Parameter wählt. Die Lösung aller Probleme lässt sich, basierend auf Profitabilität und Wachstum, berechnen und statistisch abbilden. Philipp Blom schreibt: „So wird aus der Rationalität der Aufklärung die Rationalität des Marktes. So wird die Freiheit des Menschen zur consumer choice, so wird der Universalismus der Menschenrechte zum globalen Freihandel und zur unbegrenzten Reichweite einer VISA-Karte.“

So wird auch der Erfolg einer Gesellschaft durch das Bruttoinlandsprodukt darstellbar. Das gute Leben liegt im Wirtschaftswachstum. Spätestens hier ist für Philipp Blom der Punkt erreicht, wo der liberale Traum in seiner historischen Größe zu einer Statistik verkümmert ist. Solange Märkte, die auch Staaten sind, wachsen müssen, um nicht von ihren eigenen Schulden eingeholt zu werden, solange werden sie trotz aller Reformanstrengungen immer gefräßiger werden. Aus diesem Grund zerstören sie immer weitere Teile der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität.

Das Sammeln von Daten ist längst ein Milliardenmarkt

Außerdem werden sie den Klimawandel und die globale Migration beschleunigen. Dabei untergraben sie ihr eigenes Geschäftsmodell, ihre eigene Lebensgrundlage immer weiter. Schon die dominanten Denker der Aufklärung waren häufig Befürworter einer Elitenregierung. Damit wollten sie die Bevölkerung kontrollieren, manipulieren und ihre Arbeit weiterhin produktiv nutzen. Gerade liberale Regierungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben diese Einstellung vielfach übernommen. Das rapide Wachstum von staatlicher und nichtstaatlicher Überwachung, die Speicherung persönlicher Daten aller Art, ist einerseits ein Versuch liberaler Demokratien, ihre eigene Sicherheit zu verteidigen.

Philipp Blom ergänzt: „Andererseits sind das Sammeln und die Aufbereitung längst selbst ein Wirtschaftsgut und ein Milliardenmarkt. Dessen Umfang ist nur schwer zu erfassen. Menschen, so stellt sich heraus, sind nicht nur Untertanen, Bürger oder Konsumenten. Sie sind auch Datenströme, die geerntet, gebündelt und gehandelt werden können.“ Als Datenstrom ist ein Individuum vor allem Teil eines größeren Musters. Dieses verhält sich genauso wie andere Einheiten des Rasters auch. Die Determinanten sind sozioökonomischer, ethnischer und religiöser Natur. Quelle: „Was auf dem Spiel steht“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies