Der Fortschritt geht von den Städten aus

Wenn die Griechen der Antike zum Firmament blickten, sahen sie, wie die Sterne ihre immer gleichen Bahnen ziehen. Das griechische Wort „Kosmos“ bedeutet nicht nur „Weltall“, sondern auch „Schmuck“ und „Ordnung“. Philipp Hübl erläutert: „Die die Astronomen des Altertums war der Sternenhimmel mathematisch geordnet. Die Jahreszeiten und die Sonnenfinsternisse kehrten in berechenbaren Zyklen wieder.“ Natürlich durchbrachen besondere Ereignisse wie Kriege oder Herrscherwechsel die Zeitläufe. Doch im Prinzip blieb alles in den gewohnten Bahnen. Die moderne Idee des Fortschritts, die Verbesserung von Technologien und Lebensverhältnissen, war der griechischen Antike und den darauffolgenden Jahrhunderten weitgehend fremd. Heute dagegen ist nicht nur der technische Fortschritt schnell und andauernd, sondern auch der gesellschaftliche Fortschritt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Städte sind ein progressives Versprechen

Der Wandel der Maschinen, Werte und Stile geht von den Städten aus, welche die progressiven anziehen, da sie Orte der Offenheit sind. Wer einen hohen Wert bei diesem Persönlichkeitsmerkmal hat, ist neophil, neugierig und flexibel. Eine solche Person will Vielfalt und Abwechslung, kann mit mehrdeutigen und unscharfen Grenzen leben und legt Wert auf Kreativität, Selbstbestimmung und Individualismus. Städte sind ein progressives Versprechen.

Vor allem junge Menschen ziehen vermehrt vom Land in die Stadt, zur Ausbildung, zum Studium oder einfach nur, weil sie es in ihrem Dorf nicht mehr aushalten. Sie wählen überproportional häufig progressive Parteien wie die Grünen und deutlich seltener als der Bundesdurchschnitt die AfD. Akademiker und Journalisten, bei denen Neugier zum Berufsprofil gehört, wohnen ebenfalls vermehrt in den Metropolen. Neue ästhetische Trends entstehen in den Städten, die Kleidung ist dort häufiger als auf dem Land experimentell und unisex.

Städte erziehen ihre Einwohner zur Offenheit

Philipp Hübl betont: „In Städten kommen die Kulturen zusammen. So haben beispielsweise 43 Prozent der Münchner einen Migrationshintergrund. In der Stadt wird ethnische Vielfalt zur Normalität und die internationale Küche zum Standard.“ Wer schwul, lesbisch oder trans ist, kann Gleichgesinnte finden und in der Anonymität mehr Akzeptanz erwarten. Wer sich ausprobieren oder neu erfinden will, ist in der Stadt am besten aufgehoben. Je größer die Metropole, desto weniger sind soziale Rollen durch das Umfeld vorgegeben.

In den Städten gibt es mehr Museen und Theater als auf dem Land. Ein Interesse für zeitgenössische Kunst ist einer der stärksten Indikatoren für Offenheit. Progressive Unternehmen in der Medien-, Digital- und Lifestyle-Branche residieren vornehmlich in den Städten. Sie werben für sich mit Flexibilität und Kreativität, die sie gleichzeitig von ihren Mitarbeitern erwarten. Beide Fähigkeiten hängen stark von einem Wert beim Merkmal Offenheit ab. Städte ziehen aber nicht nur die Offenen an, sondern erziehen umgekehrt auch ihre Einwohner zur Offenheit. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies