Harmonie bedeutet laut Reinhard K. Sprenger nicht Gleichklang, sondern Zusammenklang. Letzteres funktioniert nur bei „Gegenstimmen“. Harmonie ist also ein kluger Umgang mit Gegenstimmen. Befreien muss man sich aber vor allem von der Erwartung, das Leben müsse irgendwie konfliktfrei fließen. Jede Verhandlung im Geschäftsleben ist im Grunde konfliktär. Als Beispiel nennt Reinhard K. Sprenger die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Auch in Projekten und Teams ist Konfliktfreiheit wirklichkeitsfremd. Im Grunde ist jede Veränderung mit Spannung verbunden, weil sie alle jene zum Gegner hat, die aus dem Status quo ihre Vorteile ziehen. Das Bild vom ruhigen Fluss führt also in die Irre. Das Gegenteil ist richtig: Konflikt ist das Normale. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.
Objektivität ist nicht menschenmöglich
Das Konfliktpotenzial zwischen den Menschen ist so riesig, dass man sich eher wundern sollte, warum sie sich nicht ständig in den Haaren liegen. Es gibt viele Gründe dafür, warum der Konflikt die Regel ist und nicht die Ausnahme. Zwei sind für Reinhard K. Sprenger fundamental: „Individualität ist Differenz. Subjektivität ist Dissens.“ Die Menschen werden immer individueller, sie haben unterschiedliche Ziele und Absichten. Etliche davon passen nicht zueinander. Das ist die Differenz.
Der Dissens dagegen erklärt sich so: Jenseits der Subjektivität gibt es für den Menschen als Gattungswesen nichts zu holen. Alles Verstehen is gebunden an Vorwissen und Vorannahmen des Beobachters. Es ist also eine Kreisbewegung, die nur das wahrnimmt, was sie schon kennt und erwartet, aber im Regelfall mit dem Selbstverständnis des Beobachtenden nicht übereinstimmt. Im Jargon der Philosophen ist das der „hermeneutische Zirkel“: Objektivität ist nicht menschenmöglich. Der Mensch kommt aus seiner wahrnehmenden und bewertenden Befangenheit nicht heraus.
Konflikt ist Freiheit
Der Mensch muss sich also zu seiner unvermeidbaren Subjektivität bekennen. Alles andere wäre naiver Realismus. Der Soziologe Ralf Dahrendorf sagt im Jahr 1967 folgende prophetischen Worte: „Konflikt ist Freiheit, weil durch ihn allein die Vielfalt (…) menschlicher Interessen und Wünsche in einer Welt notorischer Ungewissheit angemessen Ausdruck verleihen kann.“ Seitdem ist die Welt noch vielfältiger geworden. Unter anderem als Folge der Globalisierung, der ständigen Grenzüberschreitung.
Diese hat die Konfliktpotenziale geradezu explodieren lassen. Verschiedene Kulturen, Traditionen, Religionen stoßen aufeinander. Aber auch innerhalb gleicher Kulturkreise: Überall zu beobachten ist die Tendenz zur Singularität, zum Nuancieren, zum Betonen der Unterschiede. Diese Logik des Besonderen kassiert jeden Anspruch auf Verallgemeinerung. Sie brandmarkt das Ein- und Unterordnen unter ein Gemeinschaftsdenken als anachronistisch. Das hat Konsequenzen für die Unternehmen: Das menschliche Ökosystem, das man früher Belegschaft oder Personal nannte, existiert nicht mehr. Quelle: „Die Magie des Konflikts“ von Reinhard K. Sprenger
Von Hans Klumbies