Herbert Schnädelbach begibt sich auf die Spur der Naturgesetze

Herbert Schnädelbach definiert Gesetze wie folgt: „Es handelt sich dabei um allgemein verbindliche Rechtsnormen, die von einer zur Rechtssetzung ermächtigten staatlichen Instanz als dem Gesetzgeber in einem selbst gesetzlich fixierten Verfahren erlassen wurden.“ Herbert Schnädelbach unterscheidet zwischen materialen und formalen Gesetzen. Die materialen Gesetze sind für die Regeln des sozialen Zusammenlebens der Menschen zuständig, sowohl in zivilrechtlicher als auch in strafrechtlicher Hinsicht. Die formalen Gesetze dagegen umfassen alle Beschlüsse, die ein Gesetzgeber verabschiedet, zum Beispiel ein Haushaltsgesetz für ein bestimmtes Jahr. Aber nicht allen Normen, die das Leben der Menschen bestimmen, sind Rechtsnormen, sondern nur diejenigen, deren Geltung mit den Mitteln legitimer Staatsgewalt auch gegen Widerstand durchgesetzt werden kann. Vor seiner Emeritierung war Herbert Schnädelbach Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität in Berlin.

Die Eigenschaften der ungeschriebenen Gesetze

Bei Normen der persönlichen Moral oder des guten Geschmacks ist dies laut Herbert Schnädelbach nicht der Fall, ebenso wenig bei den Konventionen, die manchmal als ungeschriebene Gesetze bezeichnet werden. Immer aber sind bei Normen die Ansprüche der Allgemeinheit und Verbindlichkeit im Spiel. Von den Imperativen als den Anordnungen unterscheiden sich Normen durch ihre Anonymität. Zudem sagen sie nur, was zu geschehen hat, wenn eine Person durch ihre Handlungen ein bestimmtes Ziel erreichen möchte. Das Wortpaar „wenn – dann“ gegründet ihre allgemeine Geltung.

Wer ergründen will, wie sich Naturgesetze von Rechtsnormen unterscheiden, muss in der Geschichte des Denkens weit zurückgehen. Herbert Schnädelbach zitiert den griechischen Philosophen Anaximander, der etwa von 610 bis 546 vor Christus lebte: „Woraus aber für das Seiende das Entstehen ist, dahinein erfolgt auch ihr Vergehen gemäß der Notwendigkeit, denn sie schaffen selbst untereinander Strafe und Sühne für ihre Ungerechtigkeit gemäß der Ordnung der Zeit.“

Das Erbe der Stoa wirkt bis in die Gegenwart

Anaximander steht für Herbert Schnädelbach am Anfang einer langen Tradition, die Welt als ein gesetzmäßiges Ganzes zu begreifen, obwohl bei ihm der Begriff „Gesetz“ noch nicht vorkommt. Ein Zeitgenosse des Sokrates, Antiphon behauptete, die politischen Gesetze seinen willkürlich gesetzt, die der Natur hingegen notwendig. Die Ersteren beruhten auf Übereinkunft und seinen nicht gewachsen, die Letzteren dagegen seien natürlich gewachsen und beruhten nicht auf Übereinkunft. Antiphon ging von einem ständigen Konflikt zwischen den politischen und natürlichen Gesetzen aus, da die meisten menschlichen Satzungen den natürlichen Bestrebungen entgegenstünden.

Thrasymachos vertritt eine radikale These: „Das Gerechte ist nichts anderes als der Nutzen des Stärkeren.“ Was die Menschen für Recht und Gerechtigkeit halten mögen, ist seiner Ansicht nach immer nur das Resultat faktischer Machtverhältnisse, die sich jeweils aus dem natürlichen Machtstreben der Menschen ergeben. Die Vorstellung eines ewigen und unveränderlichen Rechts aller Menschen, das ihnen von Natur aus zukomme, ist allerdings ein Erbe der Stoa, das bis in die Gegenwart hineinwirkt.

Von Hans Klumbies