Viele Menschen glauben an eine Führerfigur

Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass Autorität in Gott begründet liegt, sowie in Immanuel Kants Überzeugung, dass der Mensch selbstständig denken muss, glauben viele Menschen, dass Autorität am besten von einer Führerfigur ausgehen sollte. Paul Verhaeghe stellt fest: „Den Glauben an einen großen Anführer, der aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften (er ist weise und gerecht) die Befehlsgewalt erwirb oder zumindest bekommt, gab es zu allen Zeiten.“ Die Idee geht zurück auf Platons Philosophenkönig, doch der wichtigste Impuls ging von Thomas Hobbes aus. Nach ihm legt Jean-Jaques Rousseau eine sehr eigene Interpretation des Gedankens vor. Und in Deutschland plädierte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seinerseits Max Weber für eine charismatische Führerschaft. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

Thomas Hobbes spricht vom Krieg aller gegen alle

Der Engländer Thomas Hobbes wuchs in einer Epoche auf, in der praktisch jeder gegen jeden kämpfte. Dem Dreißigjährigen Krieg (1614 – 1648) zwischen Katholiken und Protestanten ging der Krieg zwischen Katholiken und Hugenotten voraus. Und anschließend kam noch der englische Bürgerkrieg zwischen König und Parlament, Katholiken und Anglikanern dazu. Kein Wunder also, dass Thomas Hobbes vom Krieg aller gegen alle spricht. Und das er das Leben als scheußlich, tierisch und kurz beschreibt.

Als politischer Denker sieht er das Scheitern einer auf Religion gegründeten Gesellschaft und schlägt ein für diese Zeit unerhörtes Gegenmittel vor: eine säkularisierte Gesellschaft unter der strengen Herrschaft eines Souveräns (eines „Leviathan“), der selbst ebenfalls gewissen Vorschriften unterworfen ist. Paul Verhaeghe kritisiert: „Letzteres, der souveräne Herrscher, der sich an Regeln zu halten hat, ist das Heikle daran. Für Hobbes musste die Autorität bei einer Person und ungeteilt bleiben und daher absolutistisch sein. Die blutigen Folgen geteilter Autorität waren ihm nur allzu vertraut.“

Das Volk tauscht Freiheit gegen Sicherheit

So spricht Thomas Hobbes dann auch von einem „sterblichen Gott“. Doch der souveräne Herrscher muss erst vom Volk autorisiert werden, bevor er herrschen kann und darf. Das Volk gibt dabei seine Freiheit auf, im Tausch gegen Sicherheit. In dem Entwurf von Thomas Hobbes kommt die Autorität nicht mehr vom Himmel herab, sondern wird dem Herrscher von unten, vom Volk, zuerkannt. Zweihundert Jahre nach Thomas Hobbes stellt Jean-Jaques Rousseau seine Theorie vor. Anders als Thomas Hobbes hält er ein Plädoyer für das autonome Individuum, für die Freiheit des Volkes, das im Einklang mit der Natur lebt.

Doch mit derselben Theorie legt er zugleich auch den Grundstein für Diktatoren wie Maximilien Robespierre, Josef Stalin oder Adolf Hitler. Paul Verhaeghe erläutert: „Seine Argumentation lautet folgendermaßen: Jeder Mensch besitzt natürliche, gesunde Instinkte, die ihn zu Freiheit und Gerechtigkeit treiben, doch das moderne Leben (wir schreiben das Jahr 1750) hat uns Menschen verdorben. Die Lösung dafür ist ein Großer Gesetzgeber (Souverän), der die in jedem Menschen vorhandenen gesunden Instinkte vertritt. Damit repräsentiert er den „allgemeinen Willen“, weshalb kein Widerstand geduldet werden kann.“ Quelle: „Autorität und Verantwortung“ von Paul Verhaeghe

Von Hans Klumbies