Silvio Vietta stellt Jean-Jacques Rousseau vor

Selten kann man bei der Lektüre eines Theoretikers so direkt der Geburt einer radikal neuen und zugleich schrecklichen Staatstheorie beiwohnen. Es ist der totalitär-egalitäre Staat, den Jean-Jacques Rousseaus „Contrat“ gebiert. Und damit den Terreur der französischen Revolution ebenso wie den Terror der totalitären kommunistischen Regimes. Sie alle konnten sich auf Jean-Jacques Rousseau berufen. Sie taten dies auch zum Teil bei der Realisierung ihres schrecklichen Regimes als Ausdruck einer idealistischen Idee. Silvio Vietta weiß: „Gegen den totalitären Staat mit dem höchst moralischen Anspruch hat der einzelne Bürger wenig Chancen.“ Weil eben der Staat mit Jean-Jacques Rousseau ja immer beanspruchen kann, das „Gemeinwohl“ zu vertreten. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Viele Menschen glauben an eine Führerfigur

Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass Autorität in Gott begründet liegt, sowie in Immanuel Kants Überzeugung, dass der Mensch selbstständig denken muss, glauben viele Menschen, dass Autorität am besten von einer Führerfigur ausgehen sollte. Paul Verhaeghe stellt fest: „Den Glauben an einen großen Anführer, der aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften (er ist weise und gerecht) die Befehlsgewalt erwirb oder zumindest bekommt, gab es zu allen Zeiten.“ Die Idee geht zurück auf Platons Philosophenkönig, doch der wichtigste Impuls ging von Thomas Hobbes aus. Nach ihm legt Jean-Jaques Rousseau eine sehr eigene Interpretation des Gedankens vor. Und in Deutschland plädierte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seinerseits Max Weber für eine charismatische Führerschaft. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Die toxische Männlichkeit vergiftet die Welt

Es gibt etwas am Mann, das die Welt vergiftet. Die amerikanische Gender-Theoretikerin Raewyn Connell prägte dafür den Begriff „Toxische Männlichkeit“. Damit charakterisiert sie bestimmte typische männliche Gewaltpraktiken. So tendiert der Mann dazu, sich allein durch seine körperliche Überlegenheit bei gleichzeitiger Abtötung von Gefühlen gegen Frauen und sich selbst gesellschaftlich durchzuboxen. Peter Trawny fügt hinzu: „Der Mann ist dann der Kampfhund einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Er vergiftet durch sein testosterongesteuertes Handeln das Zusammenleben – und offenbar auch die Umwelt.“ Obwohl dabei nicht alles am Mann „toxisch“ sein soll, sondern nur die Disposition zu seinem hegemonialen Verhalten. Dennoch scheint es zuweilen, als würden alle Dämme brechen und der Mann als solcher zum Gift zu mutieren. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Die chinesische Kulturrevolution war ein Jahrhundertverbrechen

Von dem niederländischen Historiker Frank Dikötter stammt das Standardwerk über den „Großen Sprung nach vorn“, bei dem unter der Herrschaft Mao Zedongs zwischen 1958 und 1962 rund 45 Millionen Chinesen den Tod fanden: größtenteils durch Hunger, mindestens zweieinhalb Millionen aber durch Misshandlung, Folter und andere Gewaltmaßnahmen und eine unbekannte Zahl durch Selbstmord. In seinem neue Buch „Mao und seine verlorenen Kinder“ der Großen Proletarischen Kulturrevolution zu, die Mao 1961 initiierte und die bis zu seinem Tod andauerte. Im Vergleich zu den Verheerungen des „Großen Sprungs“ verlief die Kulturrevolution milde, an allen anderen Maßstäben gemessen, war sie ein Jahrhundertverbrechen. In den zehn Jahren der Revolution zwischen 1966 und dem Tod Maos 1976 wurden zwischen 1,5 und 1,8 Millionen Menschen getötet; ebenso viele trugen dauerhafte körperliche Schäden davon.

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Nach dem 2. Weltkrieg wird Europa zweigeteilt

Vom 4. bis zum 11. Februar 1945, drei Monate vor der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, trafen die Staats- und Regierungschefs der Sowjetunion, der USA und Großbritanniens, Josef Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill, in Jalta zusammen, um die Nachkriegsordnung festzulegen. Thomas Seifert erklärt: „Die Welt sollte hinkünftig aufgeteilt werden, wobei die USA und die Sowjetunion de facto die Spaltung Europas in zwei Einflusssphären, zwei Wirtschaftsblöcke und zwei Militärallianzen beschlossen.“ Aber nicht nur die Landkarte Europas sollte neu gezeichnet werden, auch die Weltwirtschaft sollte neu geordnet werden. Die USA und Großbritannien legten auf dem Reißbrett fest: Mehr Macht über die Märkte für Regierungen, ein Ende der Spekulationen und der Panikattacken an den Börsen durch Kapitalverkehrskontrollen und eine straffe Kontrolle des neue geschaffenen Internationalen Währungsfonds (IWF) würden darüber wachen, dass kein Land seinen Wechselkurs zum eigenen Vorteil manipuliert. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

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Ralf Dahrendorf seziert den Totalitarismus in Europa

Der Totalitarismus fällt für Ralf Dahrendorf aus dem Bild des Forschritts heraus, sowohl von der traditionellen zur rationalen Herrschaft als auch vom Autoritarismus zur Verfassung der Freiheit. Die viel zitierte Definition des Totalitarismus von Carl Friedrich lautet: „Der Totalitarismus ist eine Ideologie, eine typisch von einem Mann geführte Einheitspartei, eine terroristische Polizei, ein Kommunikationsmonopol und eine zentral verwaltete Wirtschaft.“ Beim Begriff des Totalitarismus denkt man sofort an Adolf Hitlers deutschen Nationalsozialismus und Josef Stalins sowjetischen Kommunismus. In beiden Systemen war das Ziel der totalen Kontrolle durch Mobilisierung erkennbar. Autoritäre Regimes gestatten dennoch große Bereiche der Privatheit und der Apathie. Ralf Dahrendorf schreibt: „Demokratie mobilisiert, tut dies aber, um Kontrolle zu dezentralisieren. In totalitären Regimes ist Mobilisierung das Instrument der zentralisierten Kontrolle.“

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Alexander Mitscherlich setzt sich für die Toleranz ein

Die Überwindung, die in jedem toleranten Akt steckt, wirft laut Alexander Mitscherlich als Belohnung ein Freiheitserlebnis ab. Es ist eine beglückende Erfahrung, frei vom Zwang der Unduldsamkeit, der Unerträglichkeit, der Feindseligkeit zu sein. Doch die Selbsterfahrungen dieser Qualität sind relativ selten. Toleranz hat immer etwas mit Gleichmut zu tun: Ertragen, Erdulden heißt, psychologisch ein Gleichgewicht gegen störende Einflüsse von außen aufrechterhalten zu können. Wer tolerant ist und dabei seine Identität nicht gefährden will, muss fähig sein, sich Versagungen auferlegen zu können.

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