Christopher Clark kennt die Formen der Macht

Natürlich ist nicht jede Form von Macht gleich Regierungsgewalt. Doch der Aufstieg und/oder Niedergang von Regierungen zählt zu den zentralen europäischen Geschichten über Macht. Max Weber erkannte in den Beamten die Inhaber eines „Monopols legitimer, physischer Gewaltsamkeit“. Christopher Clark ergänzt: „Es kann zu einer Konzentration der Macht in Regierungen, Staaten und Bürokratien kommen, aber sie kann sich auch wieder zerstreuen.“ Einst gab es eine Welt, in der die gesamte Macht in Gestalt lokal begrenzter persönlicher Adelsherrschaft ausgeübt wurde. Aufgrund der Notwendigkeit, die Auswüchse ausbeuterischer und gewaltsamer Formen lokaler Herrschaft einzudämmen, entwickelten sich neue Regierungsformen. Das Beharren auf den Adelsprivilegien verdrängte die „Anerkennung eines kollektiven Interesses“. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

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Die Demokratie lebt von der Mündigkeit

Die Mündigkeit der Bürger verwandelt sich in eine Fiktion, wenn nicht mehr um sie gekämpft und um sie gerungen wird. Ulf Poschardt erläutert: „Eine Demokratie, die aufhört, die Mündigmachung ihrer Bürger anzustreben, könnte irgendwann aufhören, Demokratie zu sein.“ Dabei geht es um kleinere Formate des Heroischen. Wunderbare Eltern, die ihre Kinder von klein auf politisieren und aufklären. Die Mündigmachung lebt von der Infizierung nach Mündigkeit Strebender durch Mündige. Demokratische Wahlentscheidungen sind im Ideal vernunftbasierte Entscheidungen über die bestmögliche Zukunft durch mündige Wahlberechtigte. Der Wahlkampf richtet sich im Ideal an diese mündigen Wahlberechtigten. Oder er emotionalisiert, verführt, romantisiert und spricht weniger den Verstand als eine irgendwie peripher rationalisierte Institution an. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Jede Person hat ihre eigenen Mythen

Fast alle Menschen denken eher in Geschichten als in Fakten, Zahlen oder Gleichungen. Und je einfacher die Geschichte ist, desto besser. Yuval Noah Harari erklärt: „Jede Person, jede Gruppe und jede Nation hat ihre eigenen Erzählungen und Mythen.“ Doch im Verlauf des 20. Jahrhunderts formulierten die globalen Eliten in New York, Berlin und Moskau drei große Erzählungen. Diese nahmen für sich in Anspruch, die gesamte Vergangenheit zu erklären und die Zukunft der ganzen Welt vorherzusagen. Dabei handelt es sich um die faschistische, die kommunistische und die liberale Erzählung. Der Zweite Weltkrieg machte dem faschistischem Narrativ den Garaus, und von Ende der 1940er Jahre bis Ende der 1980er Jahre wurde die Welt zum Schlachtfeld zwischen nur noch zwei Erzählungen: Kommunismus und Liberalismus. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Gute Erziehung ist weder streng noch liberal

Auch der Bereich der Erziehung – ob in der Familie, der Kita oder anderswo – ist bekanntlich keine konfliktfreie Zone. Nicht zuletzt ist gerade aggressives Verhalten von Kindern immer wieder ein Thema für pädagogische Diskussionen. Hans-Peter Nolting stellt fest: „Wenn Kinder sich rücksichtslos verhalten oder als kleine Tyrannen aufspielen, wird in breitem Konsens vor allem ein Erziehungsprinzip hervorgehoben: Man muss Kindern Grenzen setzten.“ Das stimmt sicherlich, dennoch ist mit dieser Einsicht nicht viel gewonnen. Zum einen kommt es sehr darauf an, auf welche Weise man Grenzen setzt, denn zuweilen geschieht das mit Methoden, die das Problem eher noch verschärfen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Entscheidungen sind die Wemarken des Lebens

„Wie treffe ich eine gute Entscheidung?“ lautet das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 02/2019. Entscheidungen sind die Wegmarken des Lebens eines Menschen. Wer in die falsche Richtung geht, setzt sein Glück und seine Freiheit, vielleicht sogar seine gesamte Zukunft aufs Spiel. Umso drängender stellt sich die Frage, wie der richtige Weg rechtzeitig zu erkennen wäre. Soll man sich bei Entscheidungen eher auf die Vernunft oder die Intuition verlassen? Oder liegt gerade im Zögern und Zaudern die Chance wahrer Selbstbestimmung? In der Geschichte der Philosophie vertreten viele große Denker die Ansicht, dass man gute Entscheidungen nur treffen kann, wenn man der Unmündigkeit durch den Gebrauch der Vernunft entflieht. Inzwischen haben aber viele Studien der Psychologie und Verhaltensforschung gezeigt, dass es manchmal auch nicht schadet, seiner Intuition zu folgen, bringt diese doch eine enorme Reduktion der Komplexität mit sich.

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Nach 1918 brachen die europäischen Demokratien aus vier Gründen zusammen

In seinem Buch „Höllensturz“, das sich mit der Zwischenkriegszeit auseinandersetzt, beschreibt der britische Historiker Ian Kershaw vier Faktoren, die nach 1918 zum Zusammenbruch der europäischen Demokratien führten: Erstens die explosionsartige Ausbreitung eines ethnisch-rassistischen Nationalismus. Zweitens erbitterte und unversöhnliche territoriale Revisionsforderungen. Drittens ein akuter Klassenkonflikt. Viertens eine langanhaltende Krise des Kapitalismus. Philipp Blom schreibt: „Man muss nicht lange suchen, um in dieser Vergangenheit unsere Gegenwart zu erkennen. Keine Facette, die sich in dieser Aufzählung nicht spiegeln würde – von den nationalistisch-rassistischen Rechtspopulisten im Weißen Haus bis zur Krim und dem Krieg in der Ostukraine, von der täglich steigenden sozialen Ungleichheit bis zum Crash von 2008 und zur nächsten großen Finanzkrise eines immer weiter deregulierten Marktes.“ Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Die Fähigkeit zum Genuss ist das höchste Glück des Menschen

Aristipp von Kyrene (435 – 350 v. Chr.) war ein Schüler des Sokrates und ein Zeitgenosse des Diogenes. Er verkehrte am Hof des Tyrannen Dionysios. Für Aristipp und seine Schule der Kyrenaiker können der Wahlfreiheit eines Menschen ausschließlich die eigenen Empfindungen als Richtschnur gelten. Ludger Pfeil ergänzt: „Aristipps Bedürfnisse gingen allerdings weit über Diogenes` minimalistisches Einfachstleben hinaus. Und Dionysios bot ihm die einträgliche Geldquelle zu deren Finanzierung.“ Die Fähigkeit zum Genuss erklärt Aristipp kurzerhand zum höchsten Glück des Menschen und zur einzigen Tugend, die er gelten lassen will. Lustgewinn heißt das von ihm ausgerufene Ziel, wobei die Lust des Augenblicks als einzig wirkliche angesehen wird und keine Vertröstungen duldet. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Populisten sind auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch

In der Türkei ist mit Recep Tayyip Erdoğan ein Staatspräsident an die Macht gelangt, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber die Demokratie mit Füßen tritt, um seinen Anspruch auf Alleinherrschaft zu zementieren. Auch in Deutschland sammelt die AfD alle jene ein, die sich maßlos ärgern, dass es zur „Alternativlosigkeit“ Angela Merkels keine Alternative geben soll. Dass diese Bewegung so eine Dynamik erlangt hat, ist nach Erkenntnissen von Experten auch auf den Einfluss der Massenmedien zurückzuführen, in deren Berichterstattung fast nur noch das Negative dominiert. Die Wirklichkeit werde als gigantisches Versagen dargestellt und die Strukturen dieser nach oben offenen Pleitenskala prägten schon seit langem den öffentlichen Diskurs. Wie die Populisten verfolgten auch die Massenmedien im Grunde nur ein Ziel: Aufmerksam um jeden Preis.

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Der Buddhismus beschäftigt sich viel mit dem Glück

Die meisten Religionen und Philosophien vertreten ein ganz anderes Verständnis von Glück als der liberale Humanismus. In diesem Zusammenhang ist für Yuval Noah Harari der Buddhismus besonders interessant. Denn der Buddhismus räumt der Frage nach dem Glück eine vermutlich größere Bedeutung ein als jede andere Religion. Yuval Noah Harari erklärt: „Seit zweieinhalb Jahrtausenden beschäftigen sich Buddhisten systematisch mit dem Wesen und den Ursachen des menschlichen Glücks, weshalb sich Wissenschaftler heute besonders für ihre Philosophie und Meditationspraxis interessieren.“ Der Buddhismus geht davon aus, dass Glück weder eine subjektive Empfindung ist noch einem Lebenssinn abhängt. Glück bedeutet im Gegenteil, keinen persönlichen Gefühlen und keinen Illusionen mehr nachzujagen. Nach Ansicht des Buddhismus verwechseln die meisten Menschen Glück mit angenehmen Empfindungen und Leid mit unangenehmen Empfindungen. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Philosophieren kann vom Menschen weg oder zu ihm hin führen

Wer den Entschluss zum Philosophieren fasst, will sich von den Menschen weg und in ein oft befremdliches Denken hineinbegeben, in ein Denkexperiment in sich selbst, in eine Welt, in der keine anderen anwesend sind. Das hat laut Wilhelm Berger noch dazu den logistischen Vorteil, dass man es überall betreiben kann, im Bett oder am Strand, am Schreibtisch oder im Kaffeehaus. Wilhelm Berger führt ein Beispiel aus der Philosophiegeschichte an: „Die vorsokratischen Denker Parmenides und Heraklit sind die ersten Philosophen, die eine extreme Abwendung von den Menschen vollzogen haben.“ Wie Heraklit steht auch Friedrich Nietzsche für die provozierende Ansicht, dass ein konsequentes Denken letztlich unvereinbar ist mit dem Verständnis der Allgemeinheit. Martin Heidegger schreibt sogar: „Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie.“ Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Immanuel Kant: „Die Vernunft bestimmt den Willen“

Der menschliche Wille, was soll er nicht alles sein: ein innerer Kompass und ewiger Antrieb, Garant des Erfolges und unerschöpfliche Quelle der Lust. Doch gerade in entscheidenden Situationen erweist sich der Wille oft als schwach und orientierungslos. Svenja Flaßpöhler stellt deshalb die Frage, woher der Mensch also weiß, was er wirklich will. Weiß er es zum Beispiel durch rationale Abwägung und Kontrolle seiner Begierden? Oder offenbart sich sein wahrer Wille gerade im dunklen, irrationalen Drängen tief im Inneren des Menschen? Und was wäre, wenn die wahre Freiheit des Menschen gerade in der Überwindung seines Willens läge? Die häufigste Klage alter und sterbender Menschen lautet: „Wäre ich mir nur selbst treu geblieben. Hätte ich nur das Leben gelebt, das ich leben wollte.“ Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Aristoteles analysiert die Eigenschaften tugendhafter Handlungen

Im dritten Buch der Nikomachischen Ethik entwickelt Aristoteles ergänzende Analysen zur Verwirklichung der Tugend. Für ihn war vollkommen klar, dass eine tugendhafte Handlung nur dann vorliegt, wenn sie freiwillig vollzogen wird. Denn wer unter Zwang oder Gewalt eine gute Tat vollbringt, handelt nicht tugendhaft. Allerdings ist das Phänomen komplexer als man auf den ersten Blick meint. Es gibt laut Hellmut Flashar durchaus Grenzfälle. Er nennt ein Beispiel: „Ein Tyrann, der Kinder oder Eltern in seiner Gewalt hat, befiehlt ein Verbrechen. Soll man es ausführen, um Kinder oder Eltern zu retten? Wie ist eine solche Handlung zu bewerten?“ Hellmut Flashar lehrte bis zu seiner Emeritierung als Klassischer Philologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart“ und „Sophokles. Dichter im demokratischen Athen“.

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Paul Nolte beschreibt die Entstehung der Demokratie in Athen

Vor etwa zweieinhalbtausend Jahren entstand im östlichen Mittelmeerraum, auf der griechischen Halbinsel Attika, zum ersten Mal in der Weltgeschichte Demokratie. Paul Nolte erklärt: „Die Bürger von Athen überließen die Regierung ihrer Polis, also ihres stadtstaatlichen Gemeinwesens, nicht einem König, einem Tyrannen oder einer schmalen aristokratischen Elite, was weithin den kaum hinterfragten Normalfall darstellte, sondern regierten sich selbst: frei und einander gleich; durch die Übernahme von Ämtern und unmittelbar in der Volksversammlung.“ Die athenische Demokratie entwickelte sich allerdings laut Paul Nolte nicht zuerst in der Theorie, sondern langsam und in vielen Zwischenschritten, in der praktischen Anwendung. Dass daraus eine Demokratie enstehen würde, wussten die Zeitgenossen vorher und während der Entstehung dieser Regierungsform nicht. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Die sechs Staatsverfassungen des Aristoteles

Für Aristoteles gibt es drei Arten der Polisverfassung und eine gleiche Anzahl von Abarten. Die Grundformen sind das Königtum, die Aristokratie und an dritter Stelle, die auf der Einstufung nach dem Vermögen beruhende Politie, auch Timokratie genannt. Von den drei Verfassungen ist die beste das Königtum, die schlechteste die Politie. Die Abart des Königtums ist die Tyrannis. Obwohl beide die Herrschaft eines einzigen bedeuten, ist ihr Unterschied doch außerordentlich groß: Der Tyrann schaut nur auf seinen eigenen Vorteil, der König aber auf das Wohl der Untertanen, denn König ist nur, wer nach allen Seiten hin unabhängig und an allen Gütern überlegen ist. In einer solchen Stellung hat er nichts weiter vonnöten, das heißt, er wird nicht auf persönlichen Vorteil bedacht sein, dagegen auf das Wohl derer, die unter seiner Herrschaft leben.

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