Christopher Clark kennt die Formen der Macht

Natürlich ist nicht jede Form von Macht gleich Regierungsgewalt. Doch der Aufstieg und/oder Niedergang von Regierungen zählt zu den zentralen europäischen Geschichten über Macht. Max Weber erkannte in den Beamten die Inhaber eines „Monopols legitimer, physischer Gewaltsamkeit“. Christopher Clark ergänzt: „Es kann zu einer Konzentration der Macht in Regierungen, Staaten und Bürokratien kommen, aber sie kann sich auch wieder zerstreuen.“ Einst gab es eine Welt, in der die gesamte Macht in Gestalt lokal begrenzter persönlicher Adelsherrschaft ausgeübt wurde. Aufgrund der Notwendigkeit, die Auswüchse ausbeuterischer und gewaltsamer Formen lokaler Herrschaft einzudämmen, entwickelten sich neue Regierungsformen. Das Beharren auf den Adelsprivilegien verdrängte die „Anerkennung eines kollektiven Interesses“. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

Macht ist ständig im Fluss

Nach diesem kollektiven Interesse bedeutete Regieren erstmals nicht Zwang und Strafe, sondern auch „Amt, Rechenschaft, Gemeinwohl“. In England wurde der Staat im Zeitraum von 1160 bis 1250 „wohl mächtiger als jemals sonst in der englischen Geschichte“. Und diese Entwicklungen machten den Weg frei für den institutionalisierten Territorialstaat des Spätmittelalters. In diesem erstreckte sich die Macht des Souveräns zunehmend auf die gesamte Fläche eines bestimmten Gebiets.

Dabei handelte es sich um eine Entwicklung, die eine verstärkt räumliche Orientierung des spätmittelalterlichen Rechtsdiskurses unterstützte. Christopher Clark weiß: „Macht ist ständig im Fluss; sie zerstreut sich, lokalisiert sich und verändert dabei ihr Wesen.“ Dann richtet man sie auf einer höheren Ebene neu aus. Ein konstanter Zustand lässt sich so niemals erreichen. Auf lange Sicht sind sämtliche Beziehungen Neuverhandlungen unterworfen. Zudem können soziale Unruhen und Kriege stets eintreten und das Gleichgewicht neu austarieren.

Herrschaft ist in gewisser Weise willkürlich

Diese Veränderungen gingen mit einem verstärkten Interesse am Gegensatz zwischen legitimen und illegitimen Formen von Macht einher. Diejenigen, die illegitim regierten, nannte man Tyrannen. In der Auseinandersetzung mittelalterlicher kirchlicher Moralisten fungierten sie als „Antitypen des guten Herrschers“. Die Unterscheidung zwischen repressiver Gewalt und rechtmäßig verliehener Autorität blieb eines der erregendsten Probleme des frühneuzeitlichen politischen Diskurses. Allein die Erwartung, dass Herrschaft sich legitimieren sollte, impliziert bereits, dass sie in gewisser Weise willkürlich ist.

Also erfordert ihre Ausübung eine Rechtfertigung oder Tarnung. Christopher Clark stellt fest: „Bezeichnenderweise wichen ausgerechnet die beiden einflussreichsten frühneuzeitlichen Erkunder des Problems säkularer Macht, nämlich Niccolò Machiavelli und Thomas Hobbes, der Frage nach der Legitimität aus.“ Der Absolutismus dagegen war ein Konzept, mit dessen Hilfe Historiker den Übergang von höchst mittelbaren und persönlichen Formen der Macht, zur vermeintlich zentralisierten und konzentrierten Macht moderner Staaten beschrieben. Man ging davon aus, dass moderne, zentralisierte Staaten aus einem langen Machtkampf zwischen fürstlichen Beamten und den Eliten der Provinz hervorgingen. Quelle: „Gefangene der Zeit“ von Christopher Clark

Von Hans Klumbies