Philosophieren kann vom Menschen weg oder zu ihm hin führen

Wer den Entschluss zum Philosophieren fasst, will sich von den Menschen weg und in ein oft befremdliches Denken hineinbegeben, in ein Denkexperiment in sich selbst, in eine Welt, in der keine anderen anwesend sind. Das hat laut Wilhelm Berger noch dazu den logistischen Vorteil, dass man es überall betreiben kann, im Bett oder am Strand, am Schreibtisch oder im Kaffeehaus. Wilhelm Berger führt ein Beispiel aus der Philosophiegeschichte an: „Die vorsokratischen Denker Parmenides und Heraklit sind die ersten Philosophen, die eine extreme Abwendung von den Menschen vollzogen haben.“ Wie Heraklit steht auch Friedrich Nietzsche für die provozierende Ansicht, dass ein konsequentes Denken letztlich unvereinbar ist mit dem Verständnis der Allgemeinheit. Martin Heidegger schreibt sogar: „Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie.“ Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Platon hat den Tyrannen Dionysios beraten

Martin Heidegger fügt hinzu: „Denn Verständlichkeit zwängt ja alles in den Umkreis des bisherigen Vorstellens zurück.“ Friedrich Nietzsche beschreibt Heraklit und sein Wort und damit das Philosophieren als ein Aufleuchten vor einem dunklen Hintergrund, zu einer für sich selbst stehenden Intensität, die nicht der Anknüpfung an andere und der Abgrenzung von anderen bedarf. Die Wendung nach innen ist durch das Lodern dennoch nach außen gerichtet. Der Stolz und der Ekel des Heraklit und das Schaudern der anderen setzen sein Philosophieren in eine absolute Distanz und zugleich in eine absolute Nähe.

Eine ganz andere Richtung des Tuns wird eingeschlagen, wenn sich das Philosophieren aus der genommenen Distanz heraus wieder den Menschen zuwendet. Wilhelm Berger erläutert: „Diese Zuwendung ist dann alles andere als harmlos. Platon zum Beispiel wollte den vollkommenen Staat als Abbild der Wahrheit auch praktisch gestalten und hat Dionysios, den Tyrannen von Syrakus, diesbezüglich beraten.“ Platon ist schlussendlich an seinem Konzept des tugendhaften, philosophierenden Tyrannen gescheitert.

Bei Platon steht ein Philosophenkönig an der Spitze des Staates

Auch Platons Dialog „Politeia“, der den Idealstaat entwirft, ist laut Wilhelm Berger nicht zufällig voll mit erkenntnistheoretischen Reflexionen. Es geht dabei um den Zusammenhang von Politik und Wahrheit. Im sogenannten Höhlengleichnis wird der Aufstieg von der Welt der Schatten des sinnlich Wahrnehmbaren zur wahren Welt der Ideen beschrieben, aus deren Helle aber die Menschen nur geblendet in die tägliche Praxis zurückkehren können. In diesem Spannungsverhältnis steht für Platon auch der Staat.

Platon vertritt die These, dass das Wahrheitskriterium des Staates die Gerechtigkeit ist, die sich als vollendete Form seines Funktionierens darstellt. Die Idee, die dahintersteht, ist definitiv in der Praxis nicht erreichbar. Wilhelm Berger erklärt: „Deshalb steht ein Philosophenkönig an seiner Spitze, der mit der Idee gleichzeitig die Prozesse hütet, in denen sich der Staat als gerechter verwirklicht. Dabei arbeiten ihm die anderen, hierarchisch organisierten Kasten zu: die Wächter, Bauern und Handwerker. Um sie dafür tauglich zu machen, hat Platon erste Konzepte der Eugenik ausgedacht.“

Von Hans Klumbies