Immanuel Kant: „Die Vernunft bestimmt den Willen“

Der menschliche Wille, was soll er nicht alles sein: ein innerer Kompass und ewiger Antrieb, Garant des Erfolges und unerschöpfliche Quelle der Lust. Doch gerade in entscheidenden Situationen erweist sich der Wille oft als schwach und orientierungslos. Svenja Flaßpöhler stellt deshalb die Frage, woher der Mensch also weiß, was er wirklich will. Weiß er es zum Beispiel durch rationale Abwägung und Kontrolle seiner Begierden? Oder offenbart sich sein wahrer Wille gerade im dunklen, irrationalen Drängen tief im Inneren des Menschen? Und was wäre, wenn die wahre Freiheit des Menschen gerade in der Überwindung seines Willens läge? Die häufigste Klage alter und sterbender Menschen lautet: „Wäre ich mir nur selbst treu geblieben. Hätte ich nur das Leben gelebt, das ich leben wollte.“ Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

Der Mensch benötigt keine antiken Tugendkataloge

Je stärker Menschen ihr Glück von ihrem Wollen abhängig wähnen, desto wichtiger wird für sie die Frage, was das überhaupt ist – ihr Wille. Dass der wahre Wille notwendig zum Guten strebe, war eine Grundüberzeugung der Philosophie der Antike. Sokrates sagt: „Tyrannen und Rhetoren tun nichts von dem, was sie wollen. Sie tun jedoch, was ihnen das Beste zu sein scheint.“ Wollen ging damals mit der tiefen Einsicht in die göttlich-kosmologische Ordnung einher – also mit Weisheit. Platon meinte, der Mensch könne letztlich nur das Tugendhafte, dem Gemeinwohl Dienende wirklich wollen.

Die antike Konzeption des Willens reicht weit hinein in die Philosophie der Neuzeit. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Insbesondere bei Immanuel Kant ist diese rationalistische Auffassung des Willens noch wirksam. Doch ging Kant einen entscheidenden Schritt weiter als die antiken Denker. Die Vernunft bestimmt den Willen, so meinte der Aufklärer im 18. Jahrhundert.“ Und gerade deshalb benötigt der Mensch keine antiken Tugendkataloge, die für ihn das Gute definieren. Denn wenn der Wille selbst nämlich praktische Vernunft ist, reicht er als Grundlage der Moral vollkommen aus.

Der menschliche Verstand kann dem Eigenwillen Einhalt gebieten

Immanuel Kants berühmter kategorischer Imperativ lautet: „Handle nur nach derjenige Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde.“ Es handelt sich dabei um ein strikt formales Prinzip. Laut Immanuel Kant ist der gute Wille selbst das moralische Gesetz. Und nur der gute Wille ist wahrhaft frei! Es bleibt allerdings die Frage offen, warum die Menschen oft wider ihres besseren Wissens etwas Irrationales, Schmutziges, Verwerfliches, gar Schädliches begehren?

In der philosophischen Moderne verfinsterte sich dann der Blick auf den Willen radikal. Svenja Flaßpöhler nennt Gründe: „Dieser Beleuchtungswechsel ist das Resultat der gestärkten Stellung des Menschen in der Welt wie auch, damit zusammenhängend, eines zunehmenden Gotteszweifels.“ Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling zufolge zeichnet es den Menschen aus, dass er als einziges Wesen seinem „Eigenwillen“ durch den „Verstand“ Einhalt zu gebieten vermag. Er ist frei, sich zu entscheiden. Quelle: Philosophie Magazin

Von Hans Klumbies