Früher hatten allein die Medien das Sagen

In der frühen Vorstellung der Medienwissenschaft war das Massenmedium eines, das waffenähnlich funktionierte. Es folgte einem simplen Stimulus-Response-Modell, bei dem die kommunikative Einbahnstraße auch eine Hierarchie betonierte. Ulf Poschardt erklärt: „Hier der Sender, dort der Empfänger und dazwischen das Medium, das nicht nur Gatekeeper war, sondern auch Pacemaker oder Deeskalierer.“ Der Konsument war eine leere Leinwand, die ganz in der Intension des Senders und der Medien bekritzelt und bemalt werden konnte. Die Medien hatten das Sagen, der Nutzer und Konsument das Nachsehen. Diese Idee selbst hatte einen idealistischen Unterbau. Die Sehnsucht der Massenmedien war auch mit der Vorstellung einer Demokratisierung der freien Gesellschaft verbunden. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Der Stammtisch ist öffentlich geworden

Wer in der Kneipe am Stammtisch sagt, was man am Stammtisch so mal sagt, der erntet Beifall. Denn er spricht mit Gleichgesinnten in privatem Kreis. Roger de Weck betont: „Via soziale Medien ist nun aber der Stammtisch öffentlich geworden. Das hat diesen Treffpunkt des gesunden oder verderblichen Volksempfindens, der guten und unguten Bauchgefühle, der falschen Klarheiten und veritablen Klischees aufgewertet.“ Einst errangen Wahlkämpfer im Landgasthof die Lufthoheit über die Stammtische. Doch nun beansprucht der digitale Stammtisch selbst die hoheitliche Legitimität, als verkörpere er den Willen der Mehrheit im Land. Die „Sorgen der Bürger“ solle man endlich ernst nehmen, schallt es von allen Seiten. Auf einmal gilt es als heilsam, ja demokratisch, wenn haltlose Anwürfe, niedrige Instinkte und unsinnige Meinungen breiten Ausdruck finden. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Sensationsgier in den Medien ist verwerflich

Massenmedien verhandeln über Schuld. Sie tun das in unmittelbarer Weise in unzähligen Formen der Darstellung. Das Bild krimineller Handlungen ist viel mehr als früher kommunikativ und nicht durch persönliches Erleben bestimmt. Die neue, scheinbar neutrale Informationstechnologie, zeichnet sich durch eine praktisch verzögerungsfreie Gleichzeitigkeit aus. Die Auffächerung der öffentlichen Kommunikation über Identität, Gefahr und Sicherheit ist nicht neu und verwunderlich. Thomas Fischer stellt fest: „Sie ist eine Grundbedingung der menschlichen Zivilisation.“ Man sollte daher nicht fordern, die Mechanismen von Verstärkung, Gerüchten, Verzerrung, Sensationalisierung und kommunikativer Dramatisierung abzuschaffen. Es ist für Thomas Fischer aber verwerflich und verantwortungslos, sie gezielt zu verstärken oder gar erst zu erzeugen. Betroffenheit muss zuerst jeweils erst hergestellt werden, indem Nähe suggeriert und imaginiert wird. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Medien kommunizieren über das Strafen

Die Kommunikation über das Strafen findet ganz überwiegend durch die Vermittlung von technischen Medien statt: Presse, Film, Fernsehen und Internet. Thomas Fischer fügt hinzu: „Jedes dieser Medien hat spezifische Bedingungen und Wirkmechanismen. Jedes konstruiert Sinn anders.“ Zwischen Kunst-Medien wie insbesondere dem Film und einer Berichterstattung in Presse und Fernsehen bestehen für jeden sichtbare Unterschiede. Der symbolische Charakter der Kommunikation ist im Film nicht mehr so offenkundig wie im Theater, aber noch weithin rekonstruierbar. Im Fernsehen verschwimmen die Grenzen zwischen symbolisierender Fiktion und scheinbar authentischem Sprechen mit dem „lieben Zuschauer“ zusehends. Teilweise sucht man diese Grenzauflösung ausdrücklich. Etwa wenn Talkshows im Anschluss und mit unmittelbarem Bezug zu Kriminalfilmen gesendet werden. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena

Die romantische Liebe, so meinen einige, sei das letzte noch verbliebene Refugium jener Authentizität und Wärme, die den Menschen von einem zunehmend technokratischen und legalistischen Zeitalter geraubt worden seine. Eva Illouz fügt hinzu: „Für andere wiederum ist sie eine Ideologie, die Frauen versklavt, Symptom für das Ende der öffentlichen Sphäre oder Flucht aus sozialer Verantwortung.“ Eva Illouz untersucht, in welcher Beziehung die romantische Liebe zur Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus steht. Vor allem geht sie dabei der Frage nach, wie es zum Zusammenstoß zwischen Liebe und Kapitalismus gekommen ist. Es geht ihr darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, in der romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

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Jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen

Nun ist die Existenz von Gefühlsnormen unvermeidlich, wenn Menschen in Gesellschaften zusammenleben. Denn jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen. Problematisch wird es allerdings, wenn Menschen sich ihres Vorhandenseins nicht bewusst sind und es zum Konflikt zwischen inneren und äußeren Vorstellungen kommt. Ulrich Schnabel erläutert: „Dann erleben wir uns als emotional zerrissen und leiden darunter, dass Anspruch und Realität unseres Gefühlslebens massiv auseinander klaffen.“ Nirgendwo wird das deutlicher als in der Liebe, die als Herzens- oder Himmelsmacht hochgehalten wird und von Klischees, Vorstellungen und Idealen nur so umstellt sind. Alle Menschen stehen unter dem Einfluss jener Bilder und Geschichten, die das kollektive Gedächtnis dazu gesammelt hat: Romeo und Julia, Aschenputtel und der Märchenprinz, Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann in „Casablanca“ … Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Die Sexualität hat sich in ein Konsumprodukt verwandelt

Dass Menschen in manchen Liebesportalen im Internet, ähnlich wie Automobile, nur noch nach ihren Eigenschaften und Aussehen beurteilt werden, dass es bessere und schlechtere gibt, begehrenswerte und unattraktive – dieses Denken ist so tief in die Köpfe vieler Menschen eingedrungen, dass es die meisten kaum noch infrage stellen. Ulrich Schnabel fügt hinzu: „Ebenso akzeptiert scheint die Ansicht, dass man die Attraktivität der eigenen Person erst durch entsprechendes Outfit und Styling herzustellen habe.“ Von diesem Denken leben große Teile der Wirtschaft: nicht nur die Illustrierten, die die unwiderstehlichsten Frisuren, die zehn besten Schminktipps und endlich – das perfekte Liebesglück versprechen, sondern auch die Hersteller von Kleindung, Schmuck oder Kosmetik, die Schönheitsindustrie, Mediziner, Berater und Therapeuten und nicht zuletzt alle Firmen, die Statussymbole wie Autos, Uhren oder Handys zur Profilierung anbieten. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Populisten sind auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch

In der Türkei ist mit Recep Tayyip Erdoğan ein Staatspräsident an die Macht gelangt, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber die Demokratie mit Füßen tritt, um seinen Anspruch auf Alleinherrschaft zu zementieren. Auch in Deutschland sammelt die AfD alle jene ein, die sich maßlos ärgern, dass es zur „Alternativlosigkeit“ Angela Merkels keine Alternative geben soll. Dass diese Bewegung so eine Dynamik erlangt hat, ist nach Erkenntnissen von Experten auch auf den Einfluss der Massenmedien zurückzuführen, in deren Berichterstattung fast nur noch das Negative dominiert. Die Wirklichkeit werde als gigantisches Versagen dargestellt und die Strukturen dieser nach oben offenen Pleitenskala prägten schon seit langem den öffentlichen Diskurs. Wie die Populisten verfolgten auch die Massenmedien im Grunde nur ein Ziel: Aufmerksam um jeden Preis.

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Das Anderssein ist in der sozialen Wirklichkeit nicht erwünscht

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, wo die jungen, innovativen, aufbegehrenden, revolutionierenden Stimmen hingekommen sind, die heldenhaft ihr Ich gegen jede Vereinnahmung durch die Gesellschaft, die Medien und die Wirtschaft verteidigen. Der Soziologe Bernhard Heinzlmaier urteilt wie folgt über eine völlig angepasste Jugend: „Keine Mission, keine Vision, keine Revolution.“ Alles bewegt sich in der Mitte der Gesellschaft mit dem Mainstream. Wer woanders steht, weil er nicht mitkam oder nicht mitmachen will, gilt als verloren. Diese Verlorenen wieder mitzunehmen, in die Mitte zu führen und diese zu integrieren, ist dann auch das Einzige, was engagierte Pädagogen und Sozialarbeiter noch denken und wünschen können. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Henri Lefebvre setzt sich mit dem Naturbegriff auseinander

Der Missbrauch, den die kosmologische Romantik mit dem Naturbegriff trieb, hat diesen laut Henri Lefebvre in Misskredit gebracht, obwohl systematische Philosophie bislang nie auf eine Philosophie der Natur verzichten wollte. Naturalismus und Naturismus haben den Begriff der Natur regressiv in Beschlag genommen, haben ihn bald verschnörkelt, bald einem von Physik oder der Physiologie abgezogenen elementaren Szientismus unterworfen. Schließlich ist der Naturbegriff durch die bürgerlichen und technizistischen Verzückungen schier unerträglich geworden, angesichts der mit den modernen Hilfsmitteln eroberten Welten des Schweigens, der Abgründe und Höhen. Henri Lefebvre schreibt: „Die Natur ist vom Journalismus, von der Literatur, den Massenmedien und zugleich von einer dekadenten Ontologie okkupiert worden.“ Seiner Meinung nach hat man die Natur entschärft, indem man sie interessanter machen wollte. Die ihr angedichtete Pittoreskheit und das Geschwätz über Natur haben ihren Begriff trivialisiert.  

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Der Event ist zum Ritual der Konsumgesellschaft geworden

Wolfgang Schmidbauer meint, dass man die moderne Eventkultur nicht verstehen kann, ohne sich mit ihrem Paradox zu beschäftigen. Die Entwicklung der Kultur ist seit den Anfängen des Ackerbaus, der Gründung von Städten und der Einführung des Rechtsstaats eng mit dem Versuch verknüpft, möglichst wenig aufregende Ereignisse zuzulassen. Das Leben des Jägers und Sammlers während der Altsteinzeit war dagegen geradezu von Aufregungen geprägt. Wolfgang Schmidbauer schreibt: „Die Jagd tastete sich von einem Ereignis zum nächsten, große Beute ist ein großes Ereignis, alle Stammesangehörigen versammeln sich, um zu feiern und zu speisen.“ Der Bauer dagegen ist dankbar, wenn ihn das Wetter verwöhnt und er reiche Ernte einfahren kann. Wolfgang Schmidbauer arbeitet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Lehranalytiker und Paartherapeut in München.

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Der entfesselte Skandal führt zu elementarem Kontrollverlust

In einer Welt des Internets und der Massenmedien scheint der Skandal hinter jeder Ecke zu lauern. Jeder kann ihn verursachen, jeder kann sein Opfer sein. Videos auf dem Handy können eine Karriere vernichten, Botschaften über Twitter Empörung auslösen, SMS-Nachrichten als Beweismittel verwendet werden. Bernhard Pörksen und Hanne Detel schreiben in ihrem neuen Buch „Der entfesselte Skandal“: „Dokumente der Blamage und der Demontage besitzen heute eine neue Leichtigkeit und Beweglichkeit. Sie können rasch kopiert, blitzschnell verbreitet, kaum noch zensiert werden – und sorgen im Extremfall weltweit für Empörung.“ Der Ruf eines Menschen, eines Untenehmen, ja sogar eines Staates lässt sich in Rekordzeit ruinieren. Der Skandal hat für die Autoren im digitalen Zeitalter eine neue Evolutionsstufe und neue Ebene der Eskalation erklommen. Er kann ein Spektakel der Grausamkeit sein, aber ebenso gut der Aufklärung dienen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Hanne Detel arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen.

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