Grenzkontrollen sind staatliche Machtpolitik

In der heutigen globalen Staatengesellschaft ist das Europa der offenen Grenzen ein Sonderfall. Mit den Worten von Hans-Peter Schwarz könnte man auch sagen: „Es war und ist ein Großexperiment mit höchst ungewissem Ausgang.“ Der völkerrechtliche Normalfall sind nicht offene Staatsgrenzen, sondern mehr oder weniger wachsam kontrollierte Landesgrenzen. Immer noch ist ein Staat mit Territorialhoheit und allein von ihm selbst kontrollierten Grenzen der Regelfall. Auf diesen haben sich die rund 200 Mitglieder der Staatengesellschaft mit ihren heterogenen Regimen geeinigt. Nach den schrecklichen Erfahrungen, welche die Völker Europas in endlosen Kriegen um Territorien – und damit auch um die geheiligten Staatsgrenzen – gemacht hatten, war es kein Wunder, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Vision eines Europas ohne Grenzen an Strahlkraft gewann. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

Staatsgrenzen haben eine Schutz- und Ordnungsfunktion

Hans-Peter Schwarz erläutert: „Die europäischen Föderalisten waren überzeugt, dass der Nationalismus und der Streit um die Grenzen zu der Abfolge verheerender Kriege in der Geschichte Europas geführt hatte. Die Konstruktion eines Europas ohne Grenzen sei darauf die richtige Antwort.“ Dass die Staatsgrenzen bei aller Problematik auch eine Schutz- und Ordnungsfunktion im internationalen System haben, übersah man schlicht. Idealisten sind nicht dazu disponiert, sich mit der Ambivalenz gewachsener Institutionen abzufinden.

Bekanntlich ist das Konzept eines Systems souveräner, nur durch das Völkerrecht regulierter Territorialstaaten einer der wichtigsten Beiträge des europäischen Staatsdenkens zur internationalen Ordnung. Diese hat sich seit dem 17. und 18. Jahrhundert herausgebildet. Für die Regierungen starker, den Nachbarn überlegenen Staaten, ist die Grenzkontrolle auch ein diplomatisches Instrument. Oder wie es Hans-Peter Schwarz in deutlicheren Worten sagt: „Ein Instrument der staatlichen Machtpolitik.“

Demokratie und gesicherte Grenzen gehören zusammen

Über die Visapolitik, die Einreise- und Aufenthaltsregelungen, die Arbeitserlaubnis für Ausländer und anderes mehr kann eine Regierung positive oder negative Signale aussenden. Sie kann mit Anreizen locken oder Druck ausüben. Weltweit wird das heute noch genauso praktiziert wie im 19. und 20. Jahrhundert. Die verfassungsrechtliche Umsetzung der Volkssouveränität ist denkbar vielgestaltig und dementsprechend umstritten. Wesentlich ist das Prinzip, dass die Regierung dem Staatsvolk verantwortlich ist. Der Volkswille kann sich in regelmäßigen Wahlen von Parlamenten oder Präsidenten artikulieren oder durch Referenden.

Er kann mit dem Proporzwahlrecht verbunden sein oder mit bestimmten Formen des Mehrheitswahlrechts. Hans-Peter Schwarz ergänzt: „Verfassungsrechtliche Garantien der Rechte ethnischer Minderheiten sind vielfach ebenso Teil demokratischer Verfassungen wie Vorschriften bezüglich der Sprache im Schulunterricht und vor den Gerichten.“ Bei aller Vielfalt haben alle demokratischen Verfassungsformen aber eines gemein: Die freiheitliche Selbstbestimmung der Staatsbürger ist unauflöslich auf ein bestimmtes Territorium bezogen. Demokratie und gesicherte Grenzen gehören zusammen. Quelle: „Die neue Völkerwanderung nach Europa“ von Hans-Peter Schwarz

Von Hans Klumbies