Martin Luther, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatten unterschiedliche Vorstellungen von Würde. Aber alle waren Universalisten. Denn sie glaubten an die Gleichheit der Würde aller Menschen aufgrund ihres Potenzials für innere Freiheit. Francis Fukuyama ergänzt: „Indes nimmt das Verlangen nach Anerkennung häufig eine speziellere Form an und konzentriert sich auf die Würde einer bestimmen Gruppe, die marginalisiert oder missachtet worden ist.“ Im Lauf der Geschichte verstanden viele Menschen das innere Selbst, das sichtbar gemacht werden musste, nicht als Teil aller Erdenbürger. Sondern sie betrachteten es als Teil einer spezifischen Person mit genau definierter Herkunft und ebensolchen Bräuchen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.
Johann Gottfried von Herder lernte von Immanuel Kant
Diese Teilidentitäten konnten auf der Nation oder der Religion beruhen. Da sie die Anerkennung der Würde der betreffenden Gruppe zum Ziel hatten, brachten sie politische Bewegungen hervor. Man stuft sie als Nationalismus oder Islamismus ein. Ein Denker, der wesentlich dazu beitrug, den Schwerpunkt der Anerkennungskämpfe von individueller zu kollektiver Freiheit zu verlagern war Johann Gottfried von Herder. Er war ein Schüler und Zeitgenosse Immanuel Kants und lebt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Johann Gottfried von Herder wird häufig als Begründer des neuzeitlichen europäischen Ethnonationalismus attackiert. Man greift ihn als Schriftsteller an, der die primitive Volksidee feierte, und als ferner Vorläufer Adolf Hitlers. Für Francis Fukuyama ist diese Einschätzung höchst ungerecht einem Denker gegenüber, den man in der englischsprachigen Welt nicht hinreichend gelesen und studiert hat. Johann Gottfried von Herder teilte viele von Immanuel Kants aufklärerischen Ansichten über die menschliche Gleichheit.
Es gibt überall nur „ein und dieselbe Menschengattung“
Johann Gottfried von Herder verwandte jedoch weit mehr Zeit darauf, sich mit der Reiseliteratur von Europäern zu befassen. Diese hatten entlegene fremde Länder besucht und ihre Beobachtungen lokaler Bräuche aufgezeichnet. In seinem Hauptwerk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ erklärt er ausdrücklich, es gebe überall nur „ein und dieselbe Menschengattung“. Er greift darin andere Autoren an, die versuchten, Hierarchien unter den Rassen der Welt aufzustellen.
Er empfindet den Schmerz der Afrikaner nach, die zu Sklaven gemacht wurden. Und er stellt fest, dass man Kulturen daran messen kann, wie sie Frauen behandeln. Zudem besaß Johann Gottfried von Herder ein hoch entwickeltes Verständnis für die komplexe, das menschliche Verhalten prägende Wechselwirkung zwischen biologischen Eigenschaften und der Umwelt. Er war der Ansicht, dass jede menschliche Gemeinschaft einzigartig und von ihren Nachbarn getrennt sei. Klima und Geographie hätte die Sitten unterschiedlicher Völker stark beeinflusst. Quelle: „Identität“ von Francis Fukuyama
Von Hans Klumbies