Die Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus sind für Jan-Werner Müller keineswegs identisch. Radikale Rechtspopulisten haben allerdings ähnliche Strategien entwickelt. Und vielleicht könnte man sogar von einer gemeinsamen autoritär-populistischen Regierungskunst sprechen. Vereinfacht gesagt basiert diese auf Nationalismus, durch die Aneignung des Staates durch eine Partei und auf der Nutzung der Wirtschaft als Waffe zur Sicherung der politischen Macht. Das führt zu einer Mischung aus Kulturkampf, Patronage und dem, was Politikwissenschaftler Massenklientelismus nennen würden. Wobei der Nationalismus oft mehr eine Art Stimulierung von Souveränität ist. Er ist eine Inszenierung der Macht des „Volkswillens“ in Form von vermeintlich starken Gesten starker Männer. Tatsache ist, dass die heutigen Gefahren für die Demokratie mit vielen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein haben. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.
Rechtspopulismus
In Deutschland ist der Rechtspopulismus ein Problem
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die Familien in Deutschland viel Rückenwind gehabt. Der damit verbundene fürsorgliche Umgang mit den Kindern macht den Neuen Rechten jetzt tatsächlich zu schaffen. Herbert Renz-Polster erklärt: „Die Alternative für Deutschland (AfD) ihr Problem selbst: Es fehlt der politische Nachwuchs. Es fehlen aber auch die Frauen.“ In den meisten Bundesländern stimmen nicht einmal sieben Prozent der Frauen für die AfD. Damit wird man keine Gesellschaft umbauen können. Man könnte es auch so sagen: Ja, in Deutschland gibt es ein Problem mit dem Rechtspopulismus, aber es gibt hierzulande auch einen wunderbaren Schutz. Den effektivsten und einzig nachhaltigen, den es gibt: Kindheitsressourcen. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.
Der Rechtspopulismus gedeiht in ländlichen Regionen
Herbert Renz-Polster kennt das auffälligste Kennzeichen der rechtspopulistischen Strömungen: „Sie haben auf dem Land deutlich mehr Anhänger als in der Stadt.“ Und dieser Unterschied ist umso deutlicher, je tiefer der Graben zwischen Stadt und Land in einer Nation ausfällt. In Deutschland kommen rund 75 Prozent der Wähler der AfD aus Gemeinden unter 50.000 Einwohnern. Warum konzentriert sich der Hang zum Autoritarismus so hartnäckig auf das weite Land? Die erste Antwort, die Herbert Renz-Polster gibt, ist überraschend simpel: „Weil die Binnenmigration, die seit der Antike beständig in allen Ländern stattfindet, einem klaren Muster folgt.“ Wer da den Jobs oder den größeren Entfaltungsmöglichkeiten in der Stadt hinterherwandert, gehört eher zu den für die neuen Aufgaben qualifizierteren, flexibleren und gegenüber Neuerungen offeneren Menschen. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.
Deutschland hat seit 1990 eine beispiellosen Aufstieg hingelegt
Edgar Wolfrum erzählt in seinem neuen Buch „Der Aufsteiger“ die Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute. Dabei handelt es sich um die erste historische Gesamtdarstellung der Berliner Republik. Eindringlich benennt der Autor die neuen Herausforderungen, Probleme und Erfolge der Innenpolitik, Sozialkultur und Außenpolitik. Nach der Wiedervereinigung von 1990 hat sich die Bundesrepublik zu einer kontinentalen Großmacht mit weltpolitischem Gewicht entwickelt. Um das Neue und den Wandel beim Aufstieg Deutschlands sichtbar zu machen, zieht Edgar Wolfrum immer wieder Vergleiche zur „alten“ Bundesrepublik heran. Das Neue reicht dabei von schleichenden Veränderungen im Parteiensystem oder der gesellschaftlichen Erregung bis hin zu den großen Fragen wie Krieg und Klimawandel. Trotz aller Probleme erscheint heutzutage Deutschland noch immer als ein stabiles Land. Vieles ist geglückt, und in vielem haben die Deutschen wiederum einfach nur Glück gehabt. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.
Moralische Urteile drücken Wertungen aus
Bei moralischen Prinzipien geht es darum, Schaden zu vermeiden. Warum gilt: „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht stehlen“? Weil die Folge einen Schaden für jemanden darstellt: den Verlust des Lebens und des Besitzes. Philipp Hübl stellt fest: „Unsere moralischen Urteile drücken also Wertungen aus. Und unsere Emotionen in gewisser Weise auch.“ Eine Spielart der Angst ist die Hemmung, andere zu töten. Auf der Seite der Moral ist das Tötungsverbot für alle Menschen und Kulturen ein universelles Gesetz. Jedem ist klar, dass das Leben einen Wert darstellt und der Tod als Verkürzung des Lebens somit einen Schaden anrichtet. Die Stärke der Angst spielt also für die moralische Einschätzung eine nicht unbedeutende Rolle. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Der Rechtspopulismus ist eine manisch-sakrale Anrufung von Macht
Der gemeinsame Nenner von Strafen und Waffen ist unübersehbar. Das geht es immer irgendwie um das Thema Macht. Aber auch um das Gegenteil – die Ohnmacht, vor der man sich zum Beispiel schützen will. Uns schon betritt man wieder die politische Arena. Denn im Grunde ist der Rechtspopulismus eine manisch-sakrale Anrufung von Macht und Bedeutung: „Wir sind nur dann jemand, wenn wir mächtig sind.“ Beim Thema Strafen ruft Herbert Renz-Polster als Beispiel die USA auf. Sie sind mit ihrem Anteil an der Weltbevölkerung von nicht einmal fünf Prozent für fast ein Viertel der weltweit registrierten Strafgefangenen verantwortlich. In den dortigen Gefängnissen sitzen heute etwa 2,2 Millionen US-Amerikaner. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.
In einen Demokratie kann auch die Opposition Wahlen gewinnen
Es gehört mittlerweile zum guten Ton, angesichts von Brexit, Donald Trump, Marine Le Pen, der Krise der Europäischen Union (EU) und dem Aufstieg autoritärer Bewegungen vom Versagen der politischen, aber auch der intellektuellen Eliten zu sprechen. Nun, diese Rede ist aus mehreren Gründen verräterisch. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Auf wesentliche Teile der etablierten Eliten trifft sie nämlich gar nicht zu, diese sympathisieren ohnehin mit dem Brexit oder sitzen nun in Donald Trumps Regierung.“ Auch ist es ein wenig seltsam, gleich von einem Versagen der Eliten zu sprechen, wenn die Ergebnisse von Wahlen nicht den eigenen politischen Präferenzen entsprechen. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.
Der Feind des Rechtspopulismus ist ein doppelter
Die zentrale Abwehr der Pluralisierung im Politischen lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Rechtspopulismus. Will man den Begriff näher bestimmen, dann muss man festhalten: Populismus ist eine politische Strategie, um das Phantasma eines homogenen, eben nicht pluralen, Volkes zu konstruieren. Isolde Charim erläutert: „Eine Strategie, die über die Herstellung einer Freund-Feind-Konstellation funktioniert. Wobei dieser Feind ein doppelter ist: Nach oben sind es die „Eliten“, nach unten sind es die Migranten, die Asylanten, die Flüchtlinge.“ Das sind die notwendigen, aber noch nicht die hinreichenden Bedingungen, denn zum Populismus wird solch eine Strategie erst, wenn sie einen „moralischen Alleinvertretungsanspruch“ erhebt, wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller aufgezeigt hat: „Wir – und nur wir – vertreten das wahre Volk.“ Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.
Jeder Mensch hat das Recht auf Liebe
Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 04/2017 dreht sich um das schönste Thema der Welt: die Liebe. Die Liebe ist vielleicht das stärkste Gefühl, das der Mensch kennt: magisch, mitreißend, buchstäblich unbeschreiblich. Chefredakteur Wolfram Eilenberger schreibt in seinem Editorial: „Zu keinen Zeitpunkt der Existenz erfahren wir uns als verletzlicher, unsicherer, ausgesetzter, machtloser als in dem Moment, indem wir einem anderen Menschen anvertrauen, ihn zu lieben, ohne dessen Antwort bereits zu kennen.“ Die Liebe hat das Potential – ob als romantisches Glück oder freundschaftliche Tiefe – die Menschen vor dem zu retten, was sie derzeit am meisten bedroht: Vereinzelung, Effizienzdenken und Identitätswahn. Das romantische Liebesideal der absoluten Einheit beruhte auf extremer Intensität und schloss Risiken bis hin zum Liebestod nicht aus. Heutzutage entsteht im Zeichen einer Schmalspurromantik der Dating Portale ein destruktiver Erwartungsdruck, die die Liebe erstickt, ja zur völligen Beziehungslosigkeit führen kann.
Peter R. Neumann erklärt die Rekrutierungsstrategie des „Islamischen Staates“
Peter R. Neumann ist davon überzeugt, dass der Terror des Islamischen Staates (IS) Europa noch sehr lange beschäftigen wird. Denn man muss seiner Meinung nach den Terrorismus immer historisch sehen, als ein Phänomen, das eine ganze Generation andauern kann: „Wir haben es mit Wellen zu tun, die sich über 20 bis 30 Jahre strecken. Das war bei der RAF so und auch bei den Anarchisten Ende des 19. Jahrhunderts.“ Die Hauptgefahr in den aufgeklärten Staaten des Westens besteht nicht darin, dass der Terrorismus viele Menschenleben fordert, sondern dass sich durch ihn die Gesellschaften radikalisieren. Die Dschihadisten befördern eine gesellschaftliche Polarisierung und den Rechtspopulismus. Peter R. Neumann ist seit 2008 Direktor des „International Centre of Radicalisation“ am Londoner King`s College.
Identitätsfragen rücken ins Zentrum des politischen Diskurses
Das neue Philosophie Magazin 02/2017 beschäftigt sich im Titelthema mit der „Identität“. Denn in der gesamten westlichen Welt kehren Identitätsfragen ins Zentrum des politischen Diskurses. Der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch sieht in vielen Ländern Europas, den USA und der Türkei den Rechtspopulismus auf dem Vormarsch. Diesen Entwicklungen und ihren Hauptakteuren ist eines gemeinsam: „Sie werfen der politischen Klasse ihrer jeweiligen Länder Versagen vor. Sie alle stehen für die Rückkehr eines aggressiven Nationalismus. Vor allem aber haben sie unsere kulturelle Zugehörigkeit, also unsere Identität zum Politikum gemacht. Die Frage „Wer sind wir? Ist in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt.“ Vielen Politikern und Anhängern fällt es bei der Debatte um eine Leitkultur schwer, die alte Erkenntnis der Kulturphilosophie zu beherzigen, nach der Kulturen keine statischen Substanzen, sondern in ständiger Veränderung befindliche Prozesse sind.
Das Vertrauen zwischen dem Staat und seinen Bürgern schwindet
In seinem neuen Buch „Schmutzige Demokratie“ vertritt Jürgen Roth die These, dass die liberale Demokratie überall auf der Welt angegriffen wird. Und er hegt Zweifel, ob ihre Werte, ihre Institutionen und ihre Funktionen diesen Angriffen standhalten. Auf der anderen Seite steht für den Autor fest, dass es einen brandgefährlichen Prozess der Entfremdung der Bürger von der parlamentarischen Demokratie gibt. Jürgen Roth stellt fest: „Es herrscht tiefes Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen, weil Bürger erleben, wie sie getäuscht und belogen werden.“ Jürgen Roth, einer der bekanntesten investigativen Journalisten, legt eine umfassende und schonungslose Analyse der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage in Europa vor. Anhand konkreter Beispiele zeigt Jürgen Roth, wie ethische Werte dem Opportunismus geopfert werden und das gegenseitige Vertrauen zwischen dem Staat und seinen Bürgern schwindet – mit fatalen Folgen für die demokratische Zivilgesellschaft.
Der Rechtspopulismus ist eine Gefahr für die Demokratie
Der Rechtspopulismus denkt partikularistisch. Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit gelten für Rechtspopulisten nur innerhalb der eigenen Gruppe: der Nation, der Steuerzahler, des Abendlandes. Kulturen und Identitäten sollen sich nicht vermischen. Das Fremde soll draußen bleiben, gerade weil die Welt so befremdlich geworden ist: der Fremde, die fremde Religion oder Lebensweise, der fremde Gedanke. Die mal latente, mal aggressive Ausländerfeindlichkeit der rechtspopulistischen Bewegung ist das auffälligste Symptom der Sorge um den Verlust der Identität. Sie muss in Abgrenzung zum Anderen gesichert und neu hergestellt werden. Der neue Rechtspopulismus ist keine konservative Bewegung. Er setzt im Gegenteil auf die Veränderung der Gesellschaft; darauf weist der Münchner Soziologe Armin Nassehi hin. Zwar stehen im Programm der AfD viele Forderungen aus dem klassischen Repertoire des Konservatismus. Wenn man die Forderungen aber zu Ende denkt, geht es bei ihnen weder um die Bewahrung des Bestehenden noch um die Wiedergewinnung des Verlorenen.
Slavoj Žižek warnt vor dem Rechtspopulismus in Europa
Die größte Gefahr im gegenwärtigen Europa ist für den Philosophen Slavoj Žižek die Radikalisierung der Einheimischen, die schon längst im Gange ist. In Frankreich gibt es den Front National, in Deutschland Pegida und AfD. Auch in anderen Ländern nehmen rechtspopulistische und rechtsextremistische Tendenzen zu. Slavoj Žižek warnt: „Die radikale Rechte profitiert vom Flüchtlingschaos. Falls Le Pen und Konsorten an die Macht kommen sollten, wird es nicht mehr das Europa sein, das wir kennen und wollen.“ Slavoj Žižek meint damit das Europa des Universalismus, der Aufklärung, der Menschen- und Freiheitsrechte, der Solidarität, und des Sozialstaates. Europa darf seiner Meinung nach sehr stolz sein auf seine Errungenschaften, und es sollte diese entschieden verteidigen. Europa muss auch von den ankommenden Muslimen verlangen, dass diese die europäischen Werte respektieren.
Die Rechtspopulisten verfolgen in Europa unterschiedliche Ziele
Die rechten Parteien und Bewegungen in Europa verbinden zwar mach Gemeinsames, aber sie verfolgen auch ganz unterschiedliche Ziele. Deshalb ist es europaweit noch nie zu einer Einheitsplattform der Rechten gekommen. Der Politologe Anton Pelinka unterscheidet zunächst einmal den osteuropäischen Rechtspopulismus von jenem im reichen West- und Nordeuropa. Anton Pelinka erklärt: „In Osteuropa kommt der Rechtsextremismus aus der Vergangenheit, ist auch an den Universitäten stark. Das rechtspopulistische Phänomen im Westen hingegen hat selten mit Nazi-Renaissance zu tun.“ In West- und Nordeuropa werden seiner Meinung nach immer die sozial Schwächeren, die sogenannten Modernisierungsverlierer angesprochen, die teilweise real, teilweise eingebildet um ihren Wohlstand und ihre soziale Sicherheit fürchten. Anton Pelinka fügt hinzu: „Diese Ängste werden geschürt, die vermeintliche Antwort gleich mitgeliefert.“ Anton Pelinka ist seit September 2006 Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der englischsprachigen Central European University in Budapest.