Populisten befolgen nicht den Willen des Volkes

Populisten erheben nicht den Anspruch, den Willen des Volkes zugleich zu formen und zu befolgen, wie demokratische Politiker dies im Großen und Ganzen tun. Sie geben vor, sie fänden ihn lediglich vor. Denn der kollektive Wille lässt sich unmittelbar aus dem einen und einzig authentischen Verständnis des Volkes ableiten. Was dagegen zeichnet ein nichtpopulistisches Verständnis von Volk aus? Jan-Werner Müller erklärt: „Die Debatten politischer Philosophen über diese Frage bewegen sich meist zwischen zwei Extremen.“ Auf der einen Seite findet sich die Position, eine moralisch korrekte Theorie sei in der Lage, die politischen Grenzen ein für alle Mal zu klären. Verteidiger des Nationalismus als einer moralischen Theorie vertreten zum Beispiel die Auffassung, alle größeren Gruppierungen mit gemeinsamer Kultur müssten politische Selbstbestimmung genießen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

Politische Konflikte erfordern demokratisches Ringen

Auf der anderen Seite steht die Ansicht, solche Theorien stellten eine undemokratische Zumutung seitens der Moralphilosophen dar. Stattdessen solle man die Frage nach den Konturen des Volkes ganz der konkreten politischen Auseinandersetzung überlassen. Aus dieser Perspektive wirkt jedes Kriterium der Zusammengehörigkeit wie ein illegitimer Versuch, ein wirklich demokratisches Ringen erst gar nicht zuzulassen. Angesichts politischer Konflikte nur mit den Achseln zu zucken resultiert dann aber vielleicht in Sprachlosigkeit angesichts von Politikern, die Minderheiten systematisch schwächen oder sogar entrechten.

Für Jan-Werner Müller sind beide Antworten unbefriedigend. Vielleicht liegt das daran, dass die Frage schlecht gestellt ist. Bei allem Respekt vor Gedankenexperimenten als Methode zum Schärfen der eigenen moralischen Intuitionen. Man fängt eigentlich nicht mit einem von Menschen bevölkerten Globus an und fragt dann, wie man diese am besten in verschieden Staaten und Völker aufteilt. Man würde vergeblich nach einem archimedischen Punkt suchen, von dem aus alles klar würde.

Ein demokratisches Volk darf Bürger nicht entrechten

Jan-Werner Müller betont: „Ein anderer Weg ist plausibler. Es geht eigentlich nicht um das Volk in einem abstrakten Sinne, sondern um ein spezifisch demokratisches Volk. Natürlich ist das höchst voraussetzungsvoll.“ Vor allem setzt es voraus, dass eine bestimmte Gruppe ihr Leben nach Prinzipien der Gleichheit und Freiheit zu gestalten versucht. Die gemeinsame Absicht nach diesen Prinzipien zu leben, muss in den Imperativ übersetzt werden, einen Staat zu unterhalten. Denn dieser muss die gemeinsame Absicht auch durchsetzen.

Diese grobe Skizze eines demokratischen Volkes schreibt im endlosen Konflikt über Grenzen keine bestimmte Antwort vor. Sie beschränkt lediglich mögliche Konflikte auf nichttriviale Weise. So darf ein demokratisches Volk Bürger nicht vertreiben oder entrechten. Also gegen ihren Willen ausschließen. Es darf auch nicht den Status als Mitglieder des Gemeinwesens bei einzelnen Bürgern in perfider Weise in Frage stellen. Denn das widerspräche der Verpflichtung auf politische Gleichheit. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller

Von Hans Klumbies