Deutschland führte wieder Krieg

Nach der Epochenwende von 1989 ist leider kein „goldenes Zeitalter“ des Friedens angebrochen. Edgar Wolfrum stellt fest: „Aus der tiefsten Ächtung ist der Krieg vielmehr wieder zu neuer Bedeutung gelangt, auch in Europa.“ Im zerfallenen Jugoslawien brachen seit 1991 blutige Konflikt aus. In Randgebieten der ehemaligen Sowjetunion fanden ebenfalls Kämpfe statt. In nie dagewesener Form wurden in verschiedenen Staaten terroristische Anschläge verübt. Die Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center 2001 waren für viele Beobachter der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Es folgten die Kriege in Afghanistan und dem Irak, dann kamen kriegerische Auseinandersetzungen in Nordafrika, schließlich der Syrienkrieg. In diesem Zeitalter der „neuen Kriege“ wandelte sich die außenpolitische Stellung und militärische Rolle Deutschlands fundamental. Deutschland wurde wieder zu einer Krieg führenden Nation. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

Die Balkankriege zählen zu den „neuen Kriegen“

Aufgekommen ist der Begriff der „neuen Kriege“ während der Balkankriege. Zu ihren wichtigsten Charakteristika gehört das Fehlen von herkömmlichen Frontlinien. Damit verschwinden auch ein Hinterland und das Verwischen der Grenzen zwischen Kombattanten und der Zivilbevölkerung. Der Zerfall der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ überschattete die Zeitenwende seit 1989. Er warf die Frage auf, ob dieses Scheitern exemplarisch für „multikulturelle“ Gesellschaften ist.

Der einflussreiche amerikanische Journalist Robert D. Kaplan vertrat folgende These: „Der uralte Hass zwischen den Nationen und Minderheit hat das Land zerstört.“ Doch Edgar Wolfrum will nicht allein die „Balkan-Gespenster“ des ethnischen Hasses als Ursache des Verfalls gelten lassen. Seiner Meinung nach haben vielmehr auch die Gespenster der Armut, der Verunsicherung und diffusen Ängste mit dem Untergang Jugoslawiens zu tun. Die ethnischen Spannungen waren Folge von Krise und Zerfall des Staates Jugoslawiens, nicht seine Ursache.

Der Föderalstaat Jugoslawien zerfiel in Republiken

Die Katastrophe, die über Jugoslawien seit 1990/91 hereinbrach, führte zum ersten militärischen Konflikt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf europäischem Boden. Eine der Hauptquellen der Konfliktkonstellation war das nie geklärte Verhältnis von Nationalismus und Föderalismus. Ein wirtschaftlicher Niedergang der Region war schon lange zu beklagen. Im Jahr 1985 lagen die Realeinkommen der Menschen in diesem Raum schon um 27 Prozent niedriger als noch sechs Jahre zuvor.

Außerdem gab es seit Titos Tod 1980 keine von allen Ethnien anerkannte Autorität mehr. Der Ruf nach Reformen wurde vor allem in Slowenien und Kroatien lauter. Am Ende des Jahrzehnts war die Zentralregierung nahezu handlungsunfähig. Nachdem die Vertreter Sloweniens den „Bund der kommunistischen Jugoslawiens“ verlassen hatten, begann der Föderalstaat zu zerfallen. Die Macht verlagerte sich auf die Ebene der einzelnen Republiken. In allen Landesteil griff ein neuer Nationalismus um sich und gipfelte in einer extremen Politisierung ethnischer Gegensätze. Quelle: „Der Aufsteiger“ von Edgar Wolfrum

Von Hans Klumbies