Die Demokratie hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen

Roger de Weck kritisiert: „Der Nationalismus befeuert den Verteilungskampf zwischen Partner und Nachbarn. Der Ultrakapitalismus bringt Umverteilung zugunsten von Reichen und Superreichen. Die Digitalisierung schafft Räume der Hemmungslosigkeit, sei es in den sozialen Medien, sei es in der Weltwirtschaft.“ Die triumphale Rückkehr der Rücksichtslosigkeit signalisiert, dass nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern schleichend auch die Nachkriegszeit in Vergessenheit gerät. Allerdings wirkt sie noch in die Gegenwart hinein. Europa hat bislang weder die soziale Marktwirtschaft vollends abgeschrieben noch die Evidenz verlernt, dass die Nation für die großen Probleme zu klein und für die kleinen Probleme zu groß ist, wie der Soziologe Daniel Bell schrieb. Und in vielen Ländern haben sich die bedrängten Institutionen der Demokratie als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Reaktionäre ziehen keine Lehren aus der Geschichte

Der Reflex jedoch, auf die Partner in Europa und die Schwächeren im eigenen Land zuzugehen, ist nicht angeboren. Er muss von Generation zu Generation neu erworben werden. So verhärten sich tendenziell die Konflikte in der beginnenden Epoche, in der sich politischer Nationalismus und wirtschaftlicher Globalismus überlagern. Einerseits entstehen dadurch neonationalistische Handelskriege, andererseits nationale ökonomische Warlords à la Jeff Bezos. Das nährt in vielen Menschen Zukunftsangst, also Verunsicherung, also Nostalgie nach verklärten Zeiten, also Unmut über deren Verlust, also das Bedürfnis nach Sündenböcken.

Diese Mischung ist der Kraftstoff des Reaktionären. Roger de Weck betont: „Und just die Rückwärtsgewandten sind blind dafür, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.“ Die große Regression, sie ist nicht Schicksal. Reaktionäre beschwören die Vergangenheit und verkennen den Wert der Geschichte. Sie sind ungemein gestaltungsschwach in einer Zeit, in der die Politik neue Gestaltungskraft entfalten muss. Sie sind lautstark, aber kurzatmig. Der leisere, weisere Teil der Gesellschaft kann der stärkere sein. Wenn er will.

Die Demokratie ist ein Fundament der Zivilisation

Menschen prägen die Demokratie, die Demokratie prägt die Menschen. Wo die Saat der Demokratie einmal aufgegangen ist, verwandelt sie die mentale Landschaft. Roger de Weck weiß: „Demokratie schafft eine psychologische, das heißt eine harte Tatsache: Diktatur ist fortan nie mehr „normal“, der Autoritarismus nie mehr ganz legitim.“ War ein Land auch nur vorübergehend demokratisch, erhofft die Großzahl der Bürger stets von Neuem die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen.

Die Historie hat die Unterstellung und Überzeugung der Neuen Rechten Lügen gestraft, der Mensch sehen sich mehr nach Autorität als nach Autonomie. Er wolle lieber straff geführt werden als mitsprechen und mitentscheiden. Die liberale Demokratie befriedigt besser beziehungsweise weniger schlecht als andere politische Systeme drei elementare Bedürfnisse. Jeder Mensch will geachtet werden, in Frieden leben und frei reden dürfen. All das verleiht der Demokratie ihre Grundkraft. Dieses störanfällige politische System ist kein Firnis der Zivilisation, sondern inzwischen ein Fundament derselben. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies