Die Erotik stellt das Böse und das Diabolische dar

Die Bindung des Lebens an den Tod hat zahlreiche Aspekte. Sie ist in der sexuellen und in der mystischen Erfahrung gleichermaßen wahrzunehmen. Georges Bataille erläutert: „Aber wie immer man sie auch versteht, die menschliche Sexualität wird stets nur in Grenzen zugelassen, über die hinaus sie verboten ist.“ Schließlich tritt überall in der Sexualität eine Regung auf, die den Schmutz einbezieht. Von da an handelt es sich nicht mehr um „gottgewollte“, wohltuende Sexualität, sondern um Verfluchtsein und Tod. Die wohltunende Sexualität steht der animalischen Sexualität nahe. Den Gegensatz dazu bildet die Erotik, die spezifisch menschlich ist und nur im Ursprung mit der Geschlechtlichkeit zu tun hat. Die Erotik, die im Prinzip unfruchtbar ist, stellt das Böse und das Diabolische dar. Der Franzose Georges Bataille (1897 – 1962) gehört zu den kontroversesten Philosophen und Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.

Der Abstand zwischen dem Tod und dem Orgasmus ist gering

Georges Bataille schreibt: „Es gibt keine Liebe, wenn sie in uns nicht wie der Tod ist, ein Treiben zu raschem Verlust, schnell ins Tragische gleitend und innehaltend erst mit dem Tod. So wahr ist es, dass zwischen dem Tod und dem „kleinen Tod“, dem berauschenden Taumel, der Abstand unmerklich ist.“ Dieses Verlangen zu taumeln treibt jeden Menschen im Innersten um. Es unterscheidet sich nichtsdestoweniger vom Verlangen zu sterben, weil es zweideutig ist. Sicher ist es das Verlangen zu sterben. Aber es ist zugleich das Verlangen, an den Grenzen des Möglichen und Unmöglichen mit immer größerer Intensität zu leben.

Die ersehnte Ohnmacht ist nicht nur ein Hauptaspekt der menschlichen Sinnlichkeit, sondern auch eine Erfahrung der Mystiker. Eines der geschätztesten der sexuellen Organisation liegt in dem Bestreben, die Unordnung des Liebesakts in eine die Gesamtheit des menschlichen Lebens umfassende Ordnung einzufügen. Georges Bataille erklärt: „Diese Ordnung gründet sich auf die zärtliche Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau. Und auf die Bande zwischen ihnen und ihren Kindern.“

Die Zärtlichkeit ist die dauerhafte Form der Liebe

Nichts ist für einen Menschen wichtiger, als dem Sexualakt einen Platz an der Basis des Gesellschaftsgebäudes anzuweisen. Es handelt sich nicht darum, die Ordnung der Zivilisation auf die dunkle Sexualität zu gründen, das heißt auf Unordnung. Sondern es handelt sich darum, diese Unordnung zu begrenzen, indem man ihren Sinn mit dem der Ordnung verschmilzt, der man sie unterzuordnen sucht. Dieses Unternehmen ist allerdings letztlich zum Scheitern verurteilt. Denn die Erotik verleugnet niemals ihre souveräne Bedeutung, soweit sie nicht vorkommt und zu einer bloß animalischen Betätigung herabsinkt.

Die Ausgleichsformen, in deren Rahmen die Erotik möglich ist, haben am Ende nur den Ausweg eines neuen Ungleichgewichts. Oder sie altern, bevor sie endgültig erlöschen. Der bezeichnendste Ausdruck der Notwendigkeit eines Wechsels zwischen Ungleichgewicht und Gleichgewicht ist die gewaltsame und zärtliche Liebe eines Wesens zu einem anderen. Die Gewalt der Liebe führt zur Zärtlichkeit, der dauerhaften Form der Liebe. Aber auch sie weckt im Verlangen der Herzen dasselbe Element der Unordnung, denselben Durst nach der Ohnmacht und denselben Nachgeschmack des Todes, die man im Verlangen der Körper findet. Quelle: „Die Erotik“ von Georges Bataille im Reclam Heft „Was ist Liebe?“

Von Hans Klumbies