Niccolò Machiavelli war ein Lehrer des Bösen

Als Dacher Keltner vor 20 Jahren mit seiner Untersuchungen von Macht begann, wurden diese oft mit Zwang, Gewaltausübung und Herrschaft gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung der Macht mit Gewaltausübung fand ihren klarsten Ausdruck in Niccolò Machiavellis Buch „Der Fürst“. Dacher Keltner stellt fest: „Es gehört zu den hundert einflussreichsten Büchern, die je geschrieben wurden und hat die Handlungsweisen von einigen der mächtigsten Herrscher der Geschichte bestimmt.“ „Der Fürst“ ist auch heute noch ein wichtiger Text bei der Ausbildung von Führungskräften. Der Politologe Leo Strauss von der University of Chicago stellte allerdings fest, dass Niccolò Machiavelli ein Lehrer des Bösen war und dass der Gewinn und Erhalt von Macht nichts mit Ethik zu tun hat, wie so viele irrtümlich meinen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Die universellen Menschenrechte wurden zur Zeit Niccolò Machiavellis wenig beachtet

Niccolò Machiavelli hat sein Werk in einer Zeit extremer Gewalt geschrieben. Der Missbrauch von Macht blieb weitgehend unkontrolliert: Nur wenige Menschen konnten lesen, es gab keinen Journalismus, der die Mächtigen in ihre Grenzen wies, und es gab kein organisiertes Militär, das ein Gewaltmonopol des Staates garantiert hätte. Die universellen Menschenrechte wurden wenig beachtet. Niccolò Machiavellis „Der Fürst“ lieferte eine Philosophie der Macht, die für derart bestimmte Zeiten geeignet war, in denen Macht in ihrer reinsten Form als „Zwang und Betrug“ gesehen wurde.

Dacher Keltner erläutert: „Die Menschen erlangten und behielten Macht, indem sie Zwang ausübten und überraschend, impulsiv, heftig und ungestüm handelten. Sie erhielten sich diese Macht, indem sie sich rechtschaffen gaben, obwohl sie andere Absichten hegten.“ Diese Art von Macht macht Rivalen und Kritiker mundtot oder bringt sie um, sie führt zu Verpflichtungen der Treue der Mitbeteiligten und Mittäter und bringt die Massen zum Verstummen. Bald tauchten aber auch Gegenbeispiele zu diesem Konzept von Macht auf.

Die Ausübung von Gewalt kann sehr schnell zum Verlust der Macht führen

Die Menschen greifen in der Regel auf Gewalt zurück, wenn ihre Macht eigentlich schon im Schwinden ist. Heutzutage führt Gewalt laut Dacher Keltner eher dazu, Macht zu verlieren, als sie zu gewinnen. Folgt man der Sichtweise Niccolò Machiavellis, wird man blind gegenüber der Verbreitung von Macht im Alltagsleben. Man übersieht dann leicht den Einfluss von Macht auf seine Beziehungen zu Freunden, Eltern, Liebespartnern, Kindern und Arbeitskollegen. Die Macht bestimmt auch alltägliche Handlungen wie die Kreativität, das Denken und Argumentieren, ethische Urteile, die Liebe und die Emotionen.

Heute steht die Forschung vor der Herausforderung, zu verstehen, wie die gesamte soziale Dynamik von Macht geformt wird. Vor 40 Jahren haben die Menschen noch geglaubt, dass Führertum Herrschaft, Durchsetzungsvermögen und Gewalt bedeuten muss – und zwar überall: im Geschäftsleben, der Justiz, im Journalismus und in der Politik, im Sport und in Vereinen sowie in gesellschaftlichen Gruppierungen. Dacher Keltner betont: „Diese Behauptung, dass sich Macht in Gewalt ausdrückt, hat inzwischen an Boden verloren.“ Quelle: „Das Macht-Paradox“ von Dacher Keltner

Von Hans Klumbies