Das Böse ist eine spezielle Form der Blindheit

Es gibt das konzentrierte Bestreben zur Nivellierung der Urteilskraft und damit auch die Gleichmachung jeder Individualität. Dies geschieht im Namen eines stets werthaft überhöhten und letztlich anonymen Kollektivs. Das nennt Ayn Rand nun im eigentlichen Sinne „böse“. Wolfram Eilenberger erklärt: „Denn es ist aus ihrer Sicht ein Streben, das sich mit destruktivster sozialer Macht gegen all das wendet, was unsere Lebensform eigentlich gelingend und lebenswert macht.“ Das Böse ist also nicht eine metaphysische Kraft, ein transzendentes Prinzip oder ein ewiges „Nein“. Sondern es ist eine von anderen Menschen gezielt erzeugte und erwünschte Unfähigkeit, relevante Unterschiede auch als solche zu erkennen und vor allem anzuerkennen. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

Das Denken wird aus dem Alltag verbannt

Das Böse ist eine spezielle Form des Verlustes und der Blindheit. Es ist eine Art kollektiver Bann gegen all das, was menschliches Dasein eigentlich ausmacht und auszeichnet. Ein so verstandenes Böses bestünde in nichts andrem als den Wiedereingang in die selbstverschuldete Unmündigkeit. Unter Umständen geschieht dies freiwillig und es wird sogar manchmal als befreiend empfunden. Das Böse erschiene, genauer gesagt, als das sozial bewirkte Erlöschen der moralischen wie ästhetischen Urteilskraft.

So kommt es schlussendlich zur Verbannung des Denkens aus dem Alltag. Wolfram Eilenberger stellt fest: „Ein so gefasstes, aus dem Geiste des Ressentiments geborenes Böses wäre deshalb nicht etwas als radikal, sondern banal im eigentlichen Wortsinne zu begreifen.“ Und es ist durchaus kein Zufall, das Ayn Rands Konzeption mit einer anderen großen antitotalitären Denkerin sowie durchaus auch elitären Individualistin des 20. Jahrhundert zur Deckung kommt.

Hannah Arendt erkennt die Banalität des Bösen

Wolfram Eilenberger spricht natürlich von Ayn Rands großer Generationsgenossin und späteren New Yorker Quasi-Nachbarin und naturalisierter amerikanischer Landsmännin: Hannah Arendt. Ayn Rands Schaffen bleibt von dem frühen Trauma der russischen Revolution und des baldigen stalinistischen Terrors geprägt und angetrieben. Bei der nur ein Jahr nach Ayn Rand geborenen Hannah Arendt gilt dies für die Erfahrungen und Gräuel des Nationalsozialismus.

Und wie Ayn Rand in der Form des Romans, so erarbeitet auch Hannah Arendt praktisch zeitgleich, allerdings in Form der journalistischen Reportage, eine Konzeption des Bösen. Diese erkennt den Kern des Phänomens in der systematisch erzeugten und auch sozial geförderten Unfähigkeit, selbst zu denken. Insbesondere eigenständig moralisch und ästhetisch zu urteilen. Nach Hannah Arendt bekanntlich der eigentliche erschreckende Kern des Falls Adolf Eichmann. An diesem entwickelt und veranschaulicht sie ihre Theorie zur Banalität des Bösen. Hannah Arendt pocht in ihren Schriften immer wieder darauf, dass man im eigentlichen Sinne „nur alleine denken“ könne. Quelle: „Die offenbare Elite und ihre Feinde“ von Wolfram Eilenberger in Philosophicum Lech Band 23, „Die Werte der Wenigen“

Von Hans Klumbies