Der Nationalismus ist eine Inszenierung der Macht

Die Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus sind für Jan-Werner Müller keineswegs identisch. Radikale Rechtspopulisten haben allerdings ähnliche Strategien entwickelt. Und vielleicht könnte man sogar von einer gemeinsamen autoritär-populistischen Regierungskunst sprechen. Vereinfacht gesagt basiert diese auf Nationalismus, durch die Aneignung des Staates durch eine Partei und auf der Nutzung der Wirtschaft als Waffe zur Sicherung der politischen Macht. Das führt zu einer Mischung aus Kulturkampf, Patronage und dem, was Politikwissenschaftler Massenklientelismus nennen würden. Wobei der Nationalismus oft mehr eine Art Stimulierung von Souveränität ist. Er ist eine Inszenierung der Macht des „Volkswillens“ in Form von vermeintlich starken Gesten starker Männer. Tatsache ist, dass die heutigen Gefahren für die Demokratie mit vielen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein haben. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Silvio Vietta unterscheidet drei Wahrheitstheorien

Über die Frage, was Wahrheit ist, streiten sich die Gelehrten seit Jahrtausenden. Silvio Vietta unterscheidet drei Wahrheitstheorien: Seinstheorie der Wahrheit, menschenunabhängige Wahrheitstheorien mit Ewigkeitswert sowie Wahrheit als Richtigkeit. Die Seinstheorie der Wahrheit hat Martin Heidegger vertreten. Sie besagt, dass nicht der Wahrheitswert eines Satzes in Bezug auf einen Sachverhalt die ursprünglichste Form von Wahrheit darstellt. Dazu kommt die Sprachgebundenheit des menschlichen Verstehens, was Martin Heidegger immer wieder herausgearbeitet hat. Wenn menschliches Dasein und seine Form des Verstehens immer auch durch die Sprache vermittelt sind, so ist es von Anfang an auch prädikativ bestimmt. Die Menschen erkennen die Welt ja so, dass sie das Seiende als ein solches oder solches Ding wahrnehmen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Bedeutung der Mythen ist bis heute nicht geklärt

Sigmund Freud war der Überzeugung, alle Mythen der Welt bärgen in sich den Gemeinschlüssel zum Verständnis der menschlichen „psychosexuellen Entwicklung“. Dazu zählte er auch die biblische Erzählung von Adam und Eva. Dagegen vertrat Gustav Jung die These, Mythen seinen nichts weniger als die destillierte Essenz des „kollektiven Unbewussten“ der Menschheit. Und für Claude Lévi-Strauss bildeten die gesamten Mythologien der Welt zusammengenommen ein großes und unübersichtliches Rätselbild. Dieses würde die „Tiefenstrukturen“ der menschlichen Psyche offenbaren, wenn es sich richtig entschlüsseln ließe. Die Bedeutung der Mythen und Mythologien ist bis heute nicht vollständig geklärt. Aber James Suzman weiß: „Ganz sicher offenbaren sie uns jedoch Einsichten in einige universelle Aspekte der menschlichen Erfahrung.“ James Suzman ist Sozialanthropologe und Autor des Buches „Wohlstand ohne Überfluss“, in dem er die Gesellschaften der Jäger und Sammler als erste Wohlstandsgesellschaften porträtierte.

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Die Singularitäten prägen die Spätmoderne

Die Etablierung einer postindustriellen Ökonomie der Singularitäten und der Aufstieg der digitalen Kulturmaschine bilden das strukturelle Rückgrat der spätmodernen Gesellschaft der Singularitäten. Das spätmoderne Selbst unterscheidet sich grundlegend von jenem Sozialcharakter, der die klassische Moderne der Industriegesellschaft dominierte. Seit den 1980er Jahren sind darüber eine Reihe prominenter soziologischer Analysen veröffentlicht worden. Dazu zählt Andreas Reckwitz Ulrich Becks Arbeiten zur Selbstreflexion und zum Risikobewusstsein von Bastelbiografien. Zu nennen sind auch Anthony Giddens` Analysen zum hochmodernen Selbst als Projekt. Ebenso dazu gehört Zygmunt Bauman These der „flüssigen“, vor allem am Konsum orientierten Identitäten. Beispielhaft sind auch Richard Sennetts Arbeiten zur umfassenden Flexibilisierung spätmoderner Lebensformen und Manuel Castells These vom Netzwerk-Subjekt. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Beim Umgang mit Geld ist kluges Verhalten wichtig

In zwanzig Kapiteln erläutert Morgan Housel in seinem neuen Buch die seiner Ansicht wichtigsten Aspekte der Psychologie des Geldes. Dabei verfolgt er unter anderem die Geschichte der Gier, der Unsicherheit und des Optimismus. Die Grundannahme seines Buches lautet: Guter Umgang mit Geld hat nur wenig mit Intelligenz zu tun, dafür aber viel mit klugem Verhalten. Und Verhalten lässt sich nur schwer jemandem beibringen, nicht einmal richtig klugen Leuten. Ein Genie, das seine Gefühle nicht im Griff hat, kann ein finanzielles Desaster anrichten. Doch auch das Gegenteil gilt: Ein Durchschnittsbürger ohne Vorwissen in Finanzfragen ist in der Lage, wohlhabend zu werden. Dazu muss er nur ein paar Verhaltensweisen beherrschen, die mit messbarer Intelligenz nichts gemein haben. Morgan Housel ist Partner bei der Risikokapitalgesellschaft The Collaborative Fund.

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Die Menschheitsgeschichte ist noch nicht zu Ende

Bei evolutionären Abläufen und natürlichen Entwicklungsprozessen sind die Anfänge stets unscheinbar und unmerklich. Kaum einmal sind Evolutionsbiologen in der Lage jenen Punkt auf der Zeittafel zu bestimmen, an dem etwas Neues beginnt und das Alte endet. Matthias Glaubrecht fügt hinzu: „So geht es uns auch mit dem Anfang unserer eigenen Evolutionsgeschichte und dem tatsächlichen Beginn der Menschheit.“ Natürlich ist auch der Mensch nicht vom Himmel gefallen. Sondern er ist ein historisches Produkt seiner Ahnenreihe. Aber der Beginn lässt sich wahlweise und nach Gutdünken immer wieder anders bestimmen. Die Menschheitsgeschichte nur als die seiner kulturellen Evolution verstehen zu wollen, weist dabei in die Irre. Wer glaubt, dass es in der Entwicklung der Menschen nur um das erste Wort, um die Schrift oder um Kunst geht, verengt seinen Blick. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

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Alles hängt mit allem zusammen

Das Prinzip ist klar: Wo Leben existiert, da gibt es sichtbare Konsequenzen. Früher oder später. Mehr oder weniger. Insgesamt hängt ja alles mit allem zusammen. Das Ökosystem der Erde funktioniert bereits seit Milliarden von Jahren. Manchmal wurde es in seinem Gleichgewicht gestört. Entweder durch einen Meteoriteneinschlag, Vulkanausbrüchen, Erdbeben oder eben durch menschengemachte Eingriffe in dieses System. Dennoch hat es sich immer wieder in einem neuen Gleichgewicht eingependelt. Malte Rubach ergänzt: „Natürlich, Landschaften und Lebewesen sind verschwunden oder sogar ausgestorben, neue sind entstanden.“ Was aber schon im Kleinen passiert, wenn ein Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät, lässt sich an einem Ereignis aus den 50er Jahren sehr gut erklären. Der Referent und Buchautor Dr. Malte Rubach hat Ernährungswissenschaften in Deutschland, der Türkei und den USA studiert.

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Die Freiheit ermöglicht ein menschenwürdiges Leben

Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler meint in ihrem Editorial, dass die Titelfrage des neuen Philosophe Magazins 06/2021 provokant sei. Sie lautet: „Muss die Freiheit sterben, damit wir leben können?“ Denn immerhin hat die philosophische Strömung des Liberalismus vollkommen zur Recht darauf gepocht, dass gerade die Freiheit es ist, die Leben – wahres, menschenwürdiges Leben – überhaupt erst ermöglicht. Viele Menschen betrachten die Selbstbestimmung als den Kern der Freiheit. Freiheit ist das Gegenteil von Zwang. Ein freier Mensch verfügt über sich und entscheidet selbst. Er ordnet sich nicht unter, sondern gibt sich selbst ein Gesetz. Die Freiheit muss verteidigt werden. Darin sind sich Aufklärer wie Immanuel Kant, Liberale wie John Stuart Mill und Individualisten wie Friedrich Nietzsche einig. Die Freiheit muss geschützt werden vor der Macht des Staates, vor der herrschenden Moral und vor dem Druck der Mehrheit.

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Die Ökonomie missbraucht die Ideen der Aufklärung

Es ist für Philipp Blom erstaunlich zu sehen, was im Zusammenhang des verabsolutierten Marktes aus den Ideen der Aufklärung wird, die ein fester Bestandteil seiner Theorien sind. Hier wie dort sind Menschen rational, liegt ihr Heil in der Vernunft. Beide sind universalistisch und tolerant. Sie gehen davon aus, dass Menschen von Geburt an mit Freiheiten und Rechten ausgestattet sind. Beide sehen optimistisch in die Zukunft, die besser, gerechter und wohlhabender sein wird. Der alles entscheidende Unterschied wird laut Philipp Blom allerdings wirksam, wenn diese Gedanken aus dem Kontext der philosophischen Debatte in den der ökonomischen Theorie transportiert werden und dabei ihre qualitativen Aspekte verlieren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Demokratie und Toleranz gehören zusammen

Der Staatsmann Perikles lobt im 5. Jahrhundert v. Chr. die Form der Demokratie als eine Institution, die den Bürgern Freiheit schenkt. Das aber verlangt auch Toleranz des Bürgers gegenüber seinen Mitbürgern. Der Begriff „Toleranz“ ist eine Prägung der neuzeitlichen Aufklärung im Gegenzug zu den neuzeitlichen Religionskriegen. Es ist ja der Monotheismus mit seinen jeweils verabsolutierenden Religionsauffassungen, welcher die furchtbarsten Religionskriege auslöste und immer noch auslöst. Silvio Vietta nennt Beispiele: „So den Dreißigjährigen Krieg zwischen Katholiken und Protestanten im Europa des 17. Jahrhunderts. Und eben auch die heutigen Bruderkriege zwischen Schiiten und Sunniten.“ Gemeint ist mit Toleranz eine Haltung der Offenheit und auch des Respekts gegenüber Bürgern mit anderer Weltanschauung. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die neuen Eliten fühlen sich als Avantgarde

In der Kultur der Gegenwart können sich Eliten nicht länger über die Werte der alten Eliten wie Abstammung oder Tradition definieren. Entsprechend beglaubigen die neuen Eliten ihren Anspruch über Eigenschaften. Diese sind konstitutiv für individualistische Wohlstandsgesellschaften. Zugleich sind diese Attribute ein Ausweis ökonomischer Kompetenz und gehören zum Jargon der Erfolgreichen und Dynamischen. Dazu zählt Alexander Grau Kreativität, Originalität, Flexibilität, Internationalität, Offenheit und Neugierde. Entscheidend ist nun, dass man diese Eigenschaften auch als moralische Werte verstehen kann. Die Reputation der neuen Eliten besteht nur darin, genau diese Werte zu gesellschaftlichen Idealen zu erklären. Dabei inszenieren sie sich als Avantgarde. Ganz nebenbei werden die tragenden und bestimmenden Eliten auch zur moralischen Elite erhoben. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

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Menschen suchen schon immer nach der Wahrheit

Die Frage, was „Wahrheit“ ist, beschäftigt die Menschen seit Anbeginn. Sie ist eine notwendige Folge des Selbst-Bewusstseins und der Abgrenzung von den anderen. Thomas Fischer erläutert: „Man hat sich der Frage unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten genähert, die nicht allein Methoden von Wahrheitserkenntnis sind. Sondern sie prägen den Inhalt dessen, was als Wahrheit überhaupt erkennbar ist.“ Ob, beispielhaft, Übersinnliches auch Wahrheit sein kann, ist in unterschiedlichen Zeiten und Kulturen ganz verschieden beurteilt worden. Die australischen Aborigines haben eine im Grundsatz andere Vorstellung von dem, was Wahrheit sein kann, als ein etwa in London oder Berlin sozialisierter Mensch. Dass es Wunder gibt, ist bekanntlich eine auch heute noch verbreitete Ansicht. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Glück sollte das Endziel des politischen Lebens sein

Ned O’Gorman beschreibt in seinem neuen Buch „Politik für alle“ das Denken von Hannah Arendt. Er bewegt sich dabei zwischen einer Einführung in ihre Arbeit und den Werken anderer wichtiger politischer Denker. Der Autor verteidigt dabei engagiert die Politik im Zeitalter der politischen Erschöpfung. Im Vorwort schreibt Ned O’Gorman: „Dieses Buch handelt vom Glück.“ Viele Menschen kennen die Redewendung vom „Streben nach Glück“. Sie war und ist revolutionär. Für die Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und die Menschen, die sie vertraten, war Glück das Ziel des politischen Lebens. Heute ist fast niemand mehr daran gewöhnt, Politik mit Glück zu verbinden. Viel eher assoziiert man sie mit negativen Gefühlen wie Elend, Depression, Apathie, Empörung oder Wut. Ned O’Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

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Zarathustra ist ein Tänzer

In seiner vom nahen geistigen Zusammenbruch schon gekennzeichneten intellektuellen Autobiographie „Ecce homo“ schreibt Friedrich Nietzsche: „Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen.“ Konrad Paul Liessmann weiß: „Friedrich Nietzsche hatte schon immer ein Faible für lyrische und musikalische Formen gehabt.“ Sein in jungen Jahren entworfenes Konzept des Dionysischen verstand sich als Ausdruck eines rauschhaften pulsierenden Lebens. Und die von ihm gern verwendete Form des Dithyrambus was als ekstatischer Hymnus auf den Gott des Weines und ein rauschhaftes Leben gedacht. Ebenfalls in „Ecce homo“ konstatiert Friedrich Nietzsche, dass der Dithyrambus die Sprache Zarathustras sei. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Der Raum und die Ressourcen sind begrenzt

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, das Richtige im Möglichen zu erkennen? Und selbst wenn sie es erkennen, warum tun sie es dann nicht einfach? Ina Schmidt erklärt: „Manche Dinge sind leichter richtig zu machen als andere. Wir übernehmen Verantwortung, wenn wir unsere Kinder pünktlich zur Schule bringen, unsere Arbeit gewissenhaft erledigen und das Billigfleisch im Supermarkt liegen lassen.“ Verantwortung kommt immer irgendwie darauf an – aber worauf eigentlich? Das Richtige ergibt sich oftmals aus dem Zusammenhang, so dass man nicht auf eine einfache Handlungsanweisung hoffen kann. Also braucht man als Individuum die Fähigkeit herauszufinden, worauf es ankommt, um verantwortlich zu handeln. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

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Das Denken ist noch immer ein Rätsel

Wie jedermann weiß, hängen die Vorgänge im Bewusstsein eines Menschen davon ab, was mit seinem Körper geschieht. Thomas Nagel nennt Beispiele: „Stößt man sich an der Zehe, so tut das weh. Schließt man die Augen, so kann man nicht sehen, was sich vor einem befindet. Haut einem jemand eins über den Kopf, so wird man ohnmächtig.“ Solche Belege zeigen, dass jeder Vorgang im Geist oder im Bewusstsein von einem entsprechenden Vorgang abhängen muss. Die Forschung weiß zwar noch immer nicht, was im Gehirn vor sich geht, wenn ein Mensch denkt. Sie ist sich jedoch ziemlich sicher, dass dort etwas geschieht. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.

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Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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In der Zeitung begegnet die Gesellschaft sich selbst

Die Bedeutung der Medien für die Demokratie, insbesondere der Druckmedien, ist bekannt und im Prinzip unbestritten. Seit einiger Zeit findet in der Medienwelt zwar ein Strukturwandel statt. Denn „Meinungen„ bilden sich zunehmend mehr in den neuen sozialen Medien. Mit einer Prise Optimismus darf man noch immer die Zeitung das Medium nennen, „in dem sich die bürgerliche Gesellschaft selbst begegnet, die Sphäre, in der sich Politik, Ökonomie und Kultur spiegeln“. Die für die Öffentlichkeit unverzichtbaren Medien sind nicht bloß ein Forum, auf dem Interessen und Meinungen zu Wort kommen. Otfried Höffe ergänzt: „Sie sind auch eine Arena, in der um Einfluss und Macht gestritten wird. Darüber hinaus sind sie eine kritische Instanz, vor der sich die gesamte Politik, einschließlich der Gerichtsbarkeit, zu rechtfertigen hat.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Nahezu jede Aussage hat einen fiktionalen Anteil

Unter einer Fiktion versteht Markus Gabriel die Darstellung eines Sachverhalts, die den Rahmen desjenigen überschreitet, was einem Menschen unmittelbar in sensorischer Anschauung als Szene des eigenen Lebens erscheint. „Fiktion“ ist also kein Gattungsmerkmal einer Textsorte oder ausschließliches Definieren von Kunstwerken. Markus Gabriel nennt Beispiele: „Fiktionen gibt es ebenso im Recht wie in den Naturwissenschaften, der Theologie, Philosophie und in unseren ganz alltäglichen Tagträumen.“ Nahezu jede Aussage und jeder Tatsachenbericht hat einen fiktionalen Anteil. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle nicht sensorisch präsenten Gegenstände wahrer Aussagen „fiktional“ bzw. „fiktiv“ sind. Die Transzendenz über jede gegebene Situation hinaus ist der Grund der Kontaktaufnahme mit dem Fiktionalen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Natur reguliert und heilt sich selbst

Peter Wohlleben beschreibt in seinem neuen Buch „Der lange Atem der Bäume“, wie sich die Natur wunderbar selbst regulieren und heilen kann. Dies gelingt ihr aber nur, wenn die Menschen sie in Ruhe lassen. Bäume passen sich beispielsweise an ihre Umgebung an. Sie geben sogar ihre Erfahrungen mit veränderten Umweltbedingungen an ihren Nachwuchs weiter. Doch die Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Laubbäume brauche gerade jetzt die intakte Gemeinschaft, um sich gegenseitig zu unterstützen. Sie kühlen sich durch Verdunstung und können sogar Regenwolken erzeugen. Doch all diese Fähigkeiten gehen durch massive Holzeinschläge verloren. Und die nicht heimischen Nadelbäume haben durch die zunehmende Trockenheit und Hitze ohnehin keine Zukunft mehr. Der Forstwirt Peter Wohlleben arbeitet in der von ihm gegründeten Waldakademie in der Eifel und setzt sich weltweit für die Rückkehr der Urwälder ein.

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Erwachsene glauben das Richtige zu tun

Verhaltensaufforderungen treiben Widerspruch hervor. Dies geschieht schon bei Kindern und noch mehr bei Erwachsenen, deren Selbstverständnis darauf gründet, stets zu wissen, was das Richtige ist. Richard David Precht weiß: „Kein Wunder, dass staatliche Appelle zur Solidarisierung sich nicht nur der Einsicht der Mehrheit, sondern auch des Widerspruchs einer lautstarken Minderheit sicher sein können.“ Wer Solidarisierung mit den Schwachen fordert, kann ebenso mit einem gehörigen Quantum an Entsolidarisierung rechnen. Beweggründe, echte und vorgeschobene, gibt es viele. Güterabwägungen und Fragen der Verhältnismäßigkeit sind in der Tat nicht leicht zu beantworten. Wie viel Leiden verursachen die wirtschaftlichen Konsequenzen? Und natürlich haben Menschen in Altenheimen das Recht, für sich selbst zu entscheiden, sie stürben lieber an Corona als an Einsamkeit. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Es gibt keine absoluten Wahrheiten

Die beste Wahrheitstheorie ist für Silvio Vietta die „Theorie der Richtigkeit“. Wahr ist eine Erkenntnis oder ein Satz, wenn er dem Sachverhalt, den er beschreibt, auch entspricht. Die heutige Wissenschaft weiß, dass es bei komplexen Sachverhalten keine absoluten Wahrheiten gibt. Wohl aber gibt es Annäherungen an wahrheitsgemäße Beschreibungen. Diese bewegen sich allerdings zumeist auf einem abstrakten Niveau der Formelsprache. Der österreich-britische Philosoph Karl Popper schlägt daher vor, wissenschaftliche Theorien nur nach dem „Falsifizierbarkeits“-Kriterium zu unterscheiden. Aber gerade bei einfachen Wahrnehmungen von Tatsachen ist das Prinzip der Richtigkeit der Aussage fundamental für eine zivile Gesellschaft. Das gilt für die Bereiche Rechtsprechung, Politik, und die Öffentlichkeitsarbeit der Medien. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Ideen halfen beim Aufstieg des Nationalismus

Ideen waren laut Francis Fukuyama wichtig, um den Aufstieg des Nationalismus zu verstehen. Doch außerdem fanden bedeutende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen statt. Diese bereiteten seinem Erscheinen in Europa des 19. Jahrhunderts den Boden. Francis Fukuyama blickt zurück: „Die europäische Ordnung des Mittelalters war hierarchisch und nach sozialen Klassen gegliedert gewesen.“ Der Feudalismus teilte die Bevölkerungen Europas zahllosen winzigen Gerichtsbarkeiten zu. Und er war darauf angelegt, sie an ihrem jeweiligen Ort festzuhalten. Eine moderne Marktwirtschaft ist im Unterschied dazu auf die freie Bewegung von Arbeitskräften, Kapital und Ideen angewiesen. Eine umfassende Anerkennung liberaler Gesellschaften war besonders für die kapitalistische Entwicklung förderlich. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Burgund definierte sich über seine Zentren

Burgund ist den meisten Menschen ein Begriff. Und doch war es im Laufe seiner Geschichte ein ganz unterschiedliches Gebilde. Dieses definierte sich mehr über seine Zentren als über seine Grenzen. Es liegt in der Berührungszone zwischen romanisch und germanisch geprägten Bereich. Dadurch entstehen all die Gefährdungen und Chancen einer solchen Mittellage. Von hier aus gingen in alle Richtungen Impulse von großer kultureller Kraft aus. Aber auch heftige Auseinandersetzungen wurden hier ausgetragen. Arnold Esch geht es aber nicht um historische Ereignisse, sondern um die historische Landschaft des Burgunds. So lässt sich beispielsweise die Eroberung durch Caesar in seinem Winterlager auf dem Mont-Beuvray vergegenwärtigen. Arnold Esch ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

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Der Fortschritt wird immer unberechenbarer

Eine Ära der Unsicherheit hat weltweit begonnen. Die Menschen müssen umdenken und lernen, in und mit dauerhaft unsicheren Zeiten zu leben. Horst Opaschowski nennt ein Beispiel: „Die Finanzmärkte kennen diese Volatilität schon lange: Kein Vermögenswert ist mehr wirklich sicher.“ Nach dem amerikanischen Risikoforscher Nicholas Taleb brauchen die Menschen ein neues Denken für eine Welt, die bei allem Fortschritt immer unberechenbarer wird. Seine Antwort und Empfehlung für die Herausforderungen in unsicheren Zeiten lautet: „Antifragilität“. Damit ist eine Lebenshaltung gemeint, die mehr als stark, solide, robust und unzerbrechlich ist. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

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