Die neuen Eliten fühlen sich als Avantgarde

In der Kultur der Gegenwart können sich Eliten nicht länger über die Werte der alten Eliten wie Abstammung oder Tradition definieren. Entsprechend beglaubigen die neuen Eliten ihren Anspruch über Eigenschaften. Diese sind konstitutiv für individualistische Wohlstandsgesellschaften. Zugleich sind diese Attribute ein Ausweis ökonomischer Kompetenz und gehören zum Jargon der Erfolgreichen und Dynamischen. Dazu zählt Alexander Grau Kreativität, Originalität, Flexibilität, Internationalität, Offenheit und Neugierde. Entscheidend ist nun, dass man diese Eigenschaften auch als moralische Werte verstehen kann. Die Reputation der neuen Eliten besteht nur darin, genau diese Werte zu gesellschaftlichen Idealen zu erklären. Dabei inszenieren sie sich als Avantgarde. Ganz nebenbei werden die tragenden und bestimmenden Eliten auch zur moralischen Elite erhoben. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

Die Elite verfügt über die kulturelle Deutungshoheit

Zudem wird das Konzept der Elite entökonomisiert und dafür normativ angereichert. Damit sicher die Eliten ihren elitären Status doppelt ab. In einer heterogenen Gesellschaft kann allein die Affirmation von Pluralismus, Diversität und Offenheit das notwendige kulturelle Kapital bereitstellen, um sich glaubhaft als Elite inszenieren zu können. Deshalb wird umgekehrt genau diese Elite zum Garanten und Propagandisten dieser Werte. Da ein nicht unerheblicher Teil dieser Elite in den Medien, im Kulturbereich und in der IT-Branche arbeitet, verfügt dieser über die kulturelle Deutungshoheit.

So etwas nennt Alexander Grau dann kulturelle Hegemonie. Hier sind die herrschenden Ideen einer Zeit tatsächlich die Ideen einer herrschenden Klasse. Dieser gelingt es, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen. Man bewegt sich nur noch unter seinesgleichen. Dabei kommt es zu einer diskursiven Abschottung der Weltoffenen und Toleranten. Die Menschen der herrschenden Klasse verfallen dem Irrtum, das eigene Leben sei der normative Goldstandard.

Die neue Elite führt eine Kulturkampf von oben

Zudem schaut die neue Elite mit Verachtung auf jene, die an ihrem Projekt und der ihm implantierten Ideologie nicht teilhaben können oder wollen. Das Ergebnis ist ein Kulturkampf von oben. Das stößt nicht immer auf Gegenliebe. Und deshalb sind die Eliten und ihr Wertesystem in den letzten Jahren in der gesamten westlichen Welt in eine Krise geraten. Wobei Alexander Grau feststellt, dass Elitenkritik wahrlich nichts Neues ist. Doch erstmals in der Kulturgeschichte erfolgt Kritik an gesellschaftlichen Eliten aus der Tiefe liberaler, demokratischer und offener Gesellschaften heraus.

Man kann darüber streiten, wann diese Form von Elitenkritik sich das erste Mal artikuliert hat. Doch man liegt sicherlich nicht falsch, wenn man ihn mit der endgültigen Abdankung der konservativen Eliten gleichsetzt und dem gelungenen Marsch durch die Institutionen der von „68“ Inspirierten. Im Jahr 1994 beschrieb der amerikanische Historiker Christopher Lasch in seinem gleichnamigen Buch eine „Blinde Elite“, die sich von den Sorgen und Wertesystemen der Normalmenschen vollkommen entfernt habe. Quelle: „Wo wir sind, ist vorne“ von Alexander Grau in die „Werte der Wenigen“, Philosophicum Lech, Band 23

Von Hans Klumbies