Glück sollte das Endziel des politischen Lebens sein

Ned O’Gorman beschreibt in seinem neuen Buch „Politik für alle“ das Denken von Hannah Arendt. Er bewegt sich dabei zwischen einer Einführung in ihre Arbeit und den Werken anderer wichtiger politischer Denker. Der Autor verteidigt dabei engagiert die Politik im Zeitalter der politischen Erschöpfung. Im Vorwort schreibt Ned O’Gorman: „Dieses Buch handelt vom Glück.“ Viele Menschen kennen die Redewendung vom „Streben nach Glück“. Sie war und ist revolutionär. Für die Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und die Menschen, die sie vertraten, war Glück das Ziel des politischen Lebens. Heute ist fast niemand mehr daran gewöhnt, Politik mit Glück zu verbinden. Viel eher assoziiert man sie mit negativen Gefühlen wie Elend, Depression, Apathie, Empörung oder Wut. Ned O’Gorman ist Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Illinois.

Weiterlesen

Zarathustra ist ein Tänzer

In seiner vom nahen geistigen Zusammenbruch schon gekennzeichneten intellektuellen Autobiographie „Ecce homo“ schreibt Friedrich Nietzsche: „Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen.“ Konrad Paul Liessmann weiß: „Friedrich Nietzsche hatte schon immer ein Faible für lyrische und musikalische Formen gehabt.“ Sein in jungen Jahren entworfenes Konzept des Dionysischen verstand sich als Ausdruck eines rauschhaften pulsierenden Lebens. Und die von ihm gern verwendete Form des Dithyrambus was als ekstatischer Hymnus auf den Gott des Weines und ein rauschhaftes Leben gedacht. Ebenfalls in „Ecce homo“ konstatiert Friedrich Nietzsche, dass der Dithyrambus die Sprache Zarathustras sei. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Weiterlesen

Der Raum und die Ressourcen sind begrenzt

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, das Richtige im Möglichen zu erkennen? Und selbst wenn sie es erkennen, warum tun sie es dann nicht einfach? Ina Schmidt erklärt: „Manche Dinge sind leichter richtig zu machen als andere. Wir übernehmen Verantwortung, wenn wir unsere Kinder pünktlich zur Schule bringen, unsere Arbeit gewissenhaft erledigen und das Billigfleisch im Supermarkt liegen lassen.“ Verantwortung kommt immer irgendwie darauf an – aber worauf eigentlich? Das Richtige ergibt sich oftmals aus dem Zusammenhang, so dass man nicht auf eine einfache Handlungsanweisung hoffen kann. Also braucht man als Individuum die Fähigkeit herauszufinden, worauf es ankommt, um verantwortlich zu handeln. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

Weiterlesen

Das Denken ist noch immer ein Rätsel

Wie jedermann weiß, hängen die Vorgänge im Bewusstsein eines Menschen davon ab, was mit seinem Körper geschieht. Thomas Nagel nennt Beispiele: „Stößt man sich an der Zehe, so tut das weh. Schließt man die Augen, so kann man nicht sehen, was sich vor einem befindet. Haut einem jemand eins über den Kopf, so wird man ohnmächtig.“ Solche Belege zeigen, dass jeder Vorgang im Geist oder im Bewusstsein von einem entsprechenden Vorgang abhängen muss. Die Forschung weiß zwar noch immer nicht, was im Gehirn vor sich geht, wenn ein Mensch denkt. Sie ist sich jedoch ziemlich sicher, dass dort etwas geschieht. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.

Weiterlesen

Der Kampf um die Wortmacht hat begonnen

Ohne dass viele Menschen es überhaupt bemerken, stecken sie mitten in einem großen Kampf. Dabei geht es um die Form, die Bedingungen und die Grenzen der globalen Redefreiheit. Sowohl in den Smartphones in ihren Taschen und vielleicht auch in ihren Köpfen. Timothy Garton Ash nennt dieses Ringen den Kampf um die Wortmacht. Wie das Wort „Rede“ in „Redefreiheit“ schließt der Begriff „Wort“ in „Wortmacht“ offensichtlich viel mehr mit ein als nur Worte. Timothy Garton Ash erklärt: „Er umfasst auch Bilder, Töne, Symbole, Informationen und Wissen sowie Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsnetze.“ Der spanische Soziologe Manuel Castells spricht von der „Kommunikationsmacht“. Aber Timothy Garton Ash ist das kurze Wort lieber als das lange, besonders weil ohnehin jede Bezeichnung nur einen Teil des Ganzen erfasst. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

In der Zeitung begegnet die Gesellschaft sich selbst

Die Bedeutung der Medien für die Demokratie, insbesondere der Druckmedien, ist bekannt und im Prinzip unbestritten. Seit einiger Zeit findet in der Medienwelt zwar ein Strukturwandel statt. Denn „Meinungen„ bilden sich zunehmend mehr in den neuen sozialen Medien. Mit einer Prise Optimismus darf man noch immer die Zeitung das Medium nennen, „in dem sich die bürgerliche Gesellschaft selbst begegnet, die Sphäre, in der sich Politik, Ökonomie und Kultur spiegeln“. Die für die Öffentlichkeit unverzichtbaren Medien sind nicht bloß ein Forum, auf dem Interessen und Meinungen zu Wort kommen. Otfried Höffe ergänzt: „Sie sind auch eine Arena, in der um Einfluss und Macht gestritten wird. Darüber hinaus sind sie eine kritische Instanz, vor der sich die gesamte Politik, einschließlich der Gerichtsbarkeit, zu rechtfertigen hat.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Nahezu jede Aussage hat einen fiktionalen Anteil

Unter einer Fiktion versteht Markus Gabriel die Darstellung eines Sachverhalts, die den Rahmen desjenigen überschreitet, was einem Menschen unmittelbar in sensorischer Anschauung als Szene des eigenen Lebens erscheint. „Fiktion“ ist also kein Gattungsmerkmal einer Textsorte oder ausschließliches Definieren von Kunstwerken. Markus Gabriel nennt Beispiele: „Fiktionen gibt es ebenso im Recht wie in den Naturwissenschaften, der Theologie, Philosophie und in unseren ganz alltäglichen Tagträumen.“ Nahezu jede Aussage und jeder Tatsachenbericht hat einen fiktionalen Anteil. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle nicht sensorisch präsenten Gegenstände wahrer Aussagen „fiktional“ bzw. „fiktiv“ sind. Die Transzendenz über jede gegebene Situation hinaus ist der Grund der Kontaktaufnahme mit dem Fiktionalen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Weiterlesen

Die Natur reguliert und heilt sich selbst

Peter Wohlleben beschreibt in seinem neuen Buch „Der lange Atem der Bäume“, wie sich die Natur wunderbar selbst regulieren und heilen kann. Dies gelingt ihr aber nur, wenn die Menschen sie in Ruhe lassen. Bäume passen sich beispielsweise an ihre Umgebung an. Sie geben sogar ihre Erfahrungen mit veränderten Umweltbedingungen an ihren Nachwuchs weiter. Doch die Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Laubbäume brauche gerade jetzt die intakte Gemeinschaft, um sich gegenseitig zu unterstützen. Sie kühlen sich durch Verdunstung und können sogar Regenwolken erzeugen. Doch all diese Fähigkeiten gehen durch massive Holzeinschläge verloren. Und die nicht heimischen Nadelbäume haben durch die zunehmende Trockenheit und Hitze ohnehin keine Zukunft mehr. Der Forstwirt Peter Wohlleben arbeitet in der von ihm gegründeten Waldakademie in der Eifel und setzt sich weltweit für die Rückkehr der Urwälder ein.

Weiterlesen

Erwachsene glauben das Richtige zu tun

Verhaltensaufforderungen treiben Widerspruch hervor. Dies geschieht schon bei Kindern und noch mehr bei Erwachsenen, deren Selbstverständnis darauf gründet, stets zu wissen, was das Richtige ist. Richard David Precht weiß: „Kein Wunder, dass staatliche Appelle zur Solidarisierung sich nicht nur der Einsicht der Mehrheit, sondern auch des Widerspruchs einer lautstarken Minderheit sicher sein können.“ Wer Solidarisierung mit den Schwachen fordert, kann ebenso mit einem gehörigen Quantum an Entsolidarisierung rechnen. Beweggründe, echte und vorgeschobene, gibt es viele. Güterabwägungen und Fragen der Verhältnismäßigkeit sind in der Tat nicht leicht zu beantworten. Wie viel Leiden verursachen die wirtschaftlichen Konsequenzen? Und natürlich haben Menschen in Altenheimen das Recht, für sich selbst zu entscheiden, sie stürben lieber an Corona als an Einsamkeit. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Es gibt keine absoluten Wahrheiten

Die beste Wahrheitstheorie ist für Silvio Vietta die „Theorie der Richtigkeit“. Wahr ist eine Erkenntnis oder ein Satz, wenn er dem Sachverhalt, den er beschreibt, auch entspricht. Die heutige Wissenschaft weiß, dass es bei komplexen Sachverhalten keine absoluten Wahrheiten gibt. Wohl aber gibt es Annäherungen an wahrheitsgemäße Beschreibungen. Diese bewegen sich allerdings zumeist auf einem abstrakten Niveau der Formelsprache. Der österreich-britische Philosoph Karl Popper schlägt daher vor, wissenschaftliche Theorien nur nach dem „Falsifizierbarkeits“-Kriterium zu unterscheiden. Aber gerade bei einfachen Wahrnehmungen von Tatsachen ist das Prinzip der Richtigkeit der Aussage fundamental für eine zivile Gesellschaft. Das gilt für die Bereiche Rechtsprechung, Politik, und die Öffentlichkeitsarbeit der Medien. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Weiterlesen

Ideen halfen beim Aufstieg des Nationalismus

Ideen waren laut Francis Fukuyama wichtig, um den Aufstieg des Nationalismus zu verstehen. Doch außerdem fanden bedeutende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen statt. Diese bereiteten seinem Erscheinen in Europa des 19. Jahrhunderts den Boden. Francis Fukuyama blickt zurück: „Die europäische Ordnung des Mittelalters war hierarchisch und nach sozialen Klassen gegliedert gewesen.“ Der Feudalismus teilte die Bevölkerungen Europas zahllosen winzigen Gerichtsbarkeiten zu. Und er war darauf angelegt, sie an ihrem jeweiligen Ort festzuhalten. Eine moderne Marktwirtschaft ist im Unterschied dazu auf die freie Bewegung von Arbeitskräften, Kapital und Ideen angewiesen. Eine umfassende Anerkennung liberaler Gesellschaften war besonders für die kapitalistische Entwicklung förderlich. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Weiterlesen

Burgund definierte sich über seine Zentren

Burgund ist den meisten Menschen ein Begriff. Und doch war es im Laufe seiner Geschichte ein ganz unterschiedliches Gebilde. Dieses definierte sich mehr über seine Zentren als über seine Grenzen. Es liegt in der Berührungszone zwischen romanisch und germanisch geprägten Bereich. Dadurch entstehen all die Gefährdungen und Chancen einer solchen Mittellage. Von hier aus gingen in alle Richtungen Impulse von großer kultureller Kraft aus. Aber auch heftige Auseinandersetzungen wurden hier ausgetragen. Arnold Esch geht es aber nicht um historische Ereignisse, sondern um die historische Landschaft des Burgunds. So lässt sich beispielsweise die Eroberung durch Caesar in seinem Winterlager auf dem Mont-Beuvray vergegenwärtigen. Arnold Esch ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und war bis zu seiner Emeritierung Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom.

Weiterlesen

Der Fortschritt wird immer unberechenbarer

Eine Ära der Unsicherheit hat weltweit begonnen. Die Menschen müssen umdenken und lernen, in und mit dauerhaft unsicheren Zeiten zu leben. Horst Opaschowski nennt ein Beispiel: „Die Finanzmärkte kennen diese Volatilität schon lange: Kein Vermögenswert ist mehr wirklich sicher.“ Nach dem amerikanischen Risikoforscher Nicholas Taleb brauchen die Menschen ein neues Denken für eine Welt, die bei allem Fortschritt immer unberechenbarer wird. Seine Antwort und Empfehlung für die Herausforderungen in unsicheren Zeiten lautet: „Antifragilität“. Damit ist eine Lebenshaltung gemeint, die mehr als stark, solide, robust und unzerbrechlich ist. Horst Opaschowski gründete 2014 mit der Bildungsforscherin Irina Pilawa das Opaschowski Institut für Zukunftsforschung. Bis 2006 lehrte er als Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg. Ab 2007 leitete er die Stiftung für Zukunftsfragen.

Weiterlesen

Das Phänomen der Grenze verändert sich ständig

Grenzen und Grenzziehungen – konkret oder ideell – sind von Beginn an ein zentrales Wesensmerkmal europäischer Selbstdarstellung. Jürgen Wertheimer erklärt: „Sie sind ein Mittel, um sich von der Umwelt abzusetzen und den eigenen Machtanspruch zu sichern.“ Sie waren es und sind es bis jetzt geblieben. Allerdings ist ihre Definition und Organisation in einem steten Wandel begriffen. Kaum ein anderes Phänomen hat in den vergangenen Jahrzehnten so einschneidende Veränderungen erfahren wie das der Grenze. Im Jahr 1961 wurde eine rigide innerdeutsche Grenze gezogen. Keine dreißig Jahre später fiel die für unüberwindbar gehaltene Mauer ohne nennenswerten Widerstand. Selbst der „Eiserne Vorhang“ erwies sich als Trugbild. Seit 2015 zieht man in Europa, das sich zwischenzeitlich als barrierefreier Inklusionsraum inszeniert hatte, wieder Stacheldrähte und Betonmauern hoch. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

Weiterlesen

Lernen stärkt den Geist

Die Diskussion über den Wert von Wissen ist – wie viele andere Debatten – erstmals im antiken Griechenland dokumentiert. Der Philosoph Heraklit (c. 535 – ca. 475 v. Chr.) behauptete in Zusammenhang mit einer bestimmten Spezies vielseitiger Individuen: „Vielwisserei lehrt nicht, Vernunft zu haben.“ Andererseits versicherte der Philosoph Empedokles (ca. 495 – 435 v. Chr.): „Lernen stärkt dir den Geist.“ Peter Burke fügt hinzu: „Und es ist fraglos nicht ohne Bedeutung, dass manche Griechen die Göttin Polymatheia verehrten.“ In diversen Formen wurde diese Debatte im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neu belebt, wobei der Inhalt stets derselbe blieb, Gewichtungen und Umstände sich jeweils unterschieden. Peter Burke lehrte 16 Jahre an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College.

Weiterlesen

Das Denken kennt keine Grenzen

Kann man zu klug sein? Das ist eine beliebte Frage an Absolventen des Studiums der Philosophie. Zu deren Stoff gehören die drei Ethiken des Aristoteles. Nein, lautet die Antwort. Alle anderen Tugenden dagegen sind eine Frage des rechten Maßes. Denn im Übermaß verkehren sie sich zu Lastern. Mit der Ausnahme der Klugheit. Maimonides rät, wenn man über irgendetwas im Zweifel ist, sollte man sich nicht dazu zwingen anzunehmen, dass etwas Unerwiesenes bewiesen ist. Wer nicht danach trachtet, das zu erkennen, was er nicht zu erkennen vermag, hat seiner Meinung nach bereits die menschliche Vollkommenheit erreicht. Wer sich aber bemüht mehr zu erkennen, als sein Erkenntnisvermögen zulässt, derjenige wird noch mangelhafter werden als alle Mangelhaften. Und es wird ihm widerfahren, dass die Fantasie Gewalt über ihn bekommt.

Weiterlesen

Die Zukunft der Menschheit ist bedroht

Fabian Scheidler zeigt in seinem neuen Buch „Der Stoff aus dem wir sind“, wie sich die Vorstellung einer durch und durch berechenbaren, maschinenartigen Welt zusammen mit dem Kapitalismus über die letzten 400 Jahre entwickelt hat. Heute lebt die Menschheit in einer Welt des Geo-Engineering und der digitalen Fantasien, die Nerds im Silicon Valley entwickeln. Die Zukunft könnte jedoch auch auf den Tugenden der Verbundenheit, Selbstorganisation, Empathie und Kreativität beruhen. Die Zivilisation muss endlich damit beginnen, ihren selbstzerstörerischen Kurs zu korrigieren. Denn die Warnrufe von Zehntausenden Wissenschaftlern werden immer drängender. Und Millionen von Menschen gehen weltweit für die Rettung des Planeten auf die Straße. „Der Stoff aus dem wir sind“ erkundet zudem die Ursprünge jener Illusion der Trennung zwischen Mensch und Natur, die tief in der westlichen Zivilisation verankert ist. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

Weiterlesen

Der Einparteienstaat wurde 1917 erfunden

Monarchie, Tyrannei, Oligarchie, Demokratie – diese Herrschaftsformen kannten schon Platon und Aristoteles vor über zwei Jahrtausenden. Doch der nicht freiheitliche Einparteienstaat wurde erst 1917 von Lenin in Russland erfunden. Heute ist er überall auf der Welt von China über Venezuela bis nach Zimbabwe zu finden. Anne Applebaum stellt fest: „Im Gegensatz zum Marxismus ist die illiberale Einparteienherrschaft keine Philosophie. Sie ist ein Mechanismus des Machterhalts und verträgt sich mit vielen Ideologien.“ Sie funktioniert, weil sie zweifelsfrei definiert, wer der Elite angehört – der politischen Elite, der kulturellen Elite, der finanziellen Elite. In den vorrevolutionären Monarchien Russlands und Frankreichs fiel das Recht zur Herrschaft der Aristokratie zu. Diese definierte sich über strenge Regeln der Heirat und der Etikette. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

Weiterlesen

Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig

In der Aphorismensammlung „Der Wanderer und sein Schatten“ von Friedrich Nietzsche gibt es den Dialog „Der Fanatiker des Misstrauens und seine Bürgschaft“. Der Philosoph stellte diesen Fanatiker des Misstrauens als Pyrrhon vor. Er versah in also mit dem Namen des Gründers der philosophischen Schule der Skeptiker. Nachdem ein Alter nämlich Pyrrhons Lob des Misstrauens auch gegen die von letzterem vertretene Wahrheit gewendet, weiß Pyrrhon nur noch zu lachen. Der Dialog endet mit des Alten Frage: „Ach Freund! Schweigen und Lachen, – ist das jetzt deine ganze Philosophie?“ Pyrrhon antwortet: „Es wäre nicht die Schlechteste.“ Christian Niemeyer warnt: „Bevor man Friedrich Nietzsche allerdings voreilig den Skeptizisten zuordnet, sollte man beachten, welche Bedeutung das Schweigen und vor allem das Lachen in seiner Philosophie erfüllt.“ Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Weiterlesen

Technische Innovationen können zum Krieg führen

Martin Luther hat den aus der konfessionellen Spaltung Mitteleuropas entstandenen Dreißigjährigen Krieg nicht gewollt. Der Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, Johannes Gutenberg, wollte ihn ebenso wenig. Und doch hatte die Revolution im Druckwesen einen erheblichen Anteil an der politischen Mobilisierung. Deren Eskalation zum Krieg kostete ein Drittel der Bevölkerung Mitteleuropas das Leben. Andreas Barthelmess weiß: „Technologische Innovationen können zu gesellschaftlicher Polarisierung, zu dramatischen sozialen Umbrüchen führen, bis hin zum Krieg.“ Der griechische Philosoph Heraklit meinte sogar, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Andreas Barthelmess findet, das gibt dem Krieg zu viel der Ehre. Zwar gibt es Erfindungen, die ausdrücklich vom Militär bestellt wurden. Etwas die Konservendose, die auf eine Preisausschreibung Napoleon Bonapartes zurückgeht. Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.

Weiterlesen

Jeder Mensch ist für alle und alles verantwortlich

Die Geschwister Scholl und ihre Freunde von der Weißen Rose folgten ihren moralischen Prinzipien und ihrem Gewissen. Sie bezahlten dafür mit dem Tod. Klaus-Peter Hufer erklärt: „Das zu tun, was ihnen als richtig geboten erschien, stand für sie höher als das eigene Leben. Sie übernahmen Verantwortung.“ Verantwortung meint laut Duden die „Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen“. Synonyme von Verantwortung sind Moral, Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl. Doch wie weit geht die persönliche Verantwortung? Der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 – 1861) war der Ansicht, dass die Verantwortung eines jeden Menschen sehr weit reicht. Ein berühmter Satz von ihm lautet: „Jeder Mensch ist für alle und alles verantwortlich.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

Weiterlesen

Der Wohlstand der USA beruhte auf Schulden

Um das Jahr 1980 geschah etwas mit dem kraftvollen Wirtschaftsmotor Amerikas. Das Wachstum schwächte sich ab. Und – noch viel wichtiger – die Einkommen stiegen nicht mehr so stark. Beziehungsweise sie gingen oftmals sogar zurück. Es geschah fast unmerklich. Die Finanzkrise von 2008 zeigte dann jedoch, dass der amerikanische Wohlstand auf einem Kartenhaus oder genauer gesagt, einem Schuldenberg errichtet worden war. Joseph Stiglitz weiß: „Als neuere Daten ein genaueres Bild der Wirtschaft vermittelten, wurde immer deutlicher, dass es langjährige und tief sitzende Probleme gab. Das viel beschworene Wachstum fiel tatsächlich viel niedriger aus als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Weiterlesen

Das 20. Jahrhundert war eine Zeit der Vertreibung

Das 20. Jahrhundert war ein Zeitalter der gewaltsamen Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat, von Flucht und Entwurzlung. Flucht und Elendsmigration hat es zu unterschiedlichen Zeiten in der ganzen Welt gegeben. So etwa in den 1970er Jahren, als eine riesige Fluchtwelle der „Boatpeople“ in Asien anhob. Seit den Massenvertreibungen und Deportationen während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa von keiner Zwangsmigration vergleichbaren Ausmaßes heimgesucht worden wie in den 1990er Jahren. Edgar Wolfrum erklärt: „Als Jugoslawien zerfiel und man auf dem Balkan Kriege führte, setzten massive Vertreibungen und ethnische Säuberungen ein. Fünf Millionen Menschen waren von diesem neuen nationalistischen Wahn betroffen.“ Seit der Jahrtausendwende versuchen nun Jahr für Jahr Tausende von afrikanischen Elendsflüchtlingen nach Europa zu gelangen. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

Weiterlesen

Alles dreht sich nur noch um die Arbeit

Arbeit steht im Zentrum der modernen Gesellschaften. James Suzman beantwortet in seinem neunen Buch „Sie nannten es Arbeit“ unter anderem folgende Fragen: Warum überlassen die meisten Menschen der Arbeit einen so großen Teil ihres Lebens? Warum arbeiten sie immer mehr, obwohl sie so viel produzieren wie noch nie? Warum fühlen sich immer mehr Menschen überlastet und ausgebrannt? Die Bevölkerung der Steinzeit arbeitete weit weniger. Und dennoch waren sie relativ gesund und wurden älter als die meisten Menschen, die ihnen nachfolgte. Denn sie arbeiteten, um zu leben und lebten nicht, um zu arbeiten. Erst die Sesshaftwerdung des Menschen und die zunehmende Arbeitsteilung schufen die Grundlagen für das heutige Verhältnis der Menschheit zur Arbeit. James Suzman ist Sozialanthropologe und Autor des Buches „Wohlstand ohne Überfluss“, in dem er die Gesellschaften der Jäger und Sammler als erste Wohlstandsgesellschaften porträtierte.

Weiterlesen

Verunglimpfungen funktionieren oft über Ekel

In den USA sind Reinheitsthemen im rechten Lager schon lange verbreitet. Der Anführer der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, Richard Spencer, träumt von einer „Erneuerung“ des weißen Volkes durch „Wiedergeburt“. Und die bibeltreuen Christen halten Homosexualität für eine moralische Verunreinigung und die Homo-Ehe für das Werk Satans. Philipp Hübl erklärt: „Vor allem Verunglimpfungen, also abfällige Bezeichnungen für Fremde und Minderheiten, funktionieren oft über Ekel.“ Durch den erscheint deren Aussehen, Essgewohnheiten und Sitten als abstoßend. Vergleiche mit Tieren, Essen oder Exkrementen sind ebenfalls weit verbreitet. Ein Ausdruck wie „Krauts“ oder „Kartoffeln“ für Deutsche erscheint im internationalen Vergleich da fast wie ein Kosename. Der Ausdruck „links-grün versifft“ leitet sich übrigens von der Geschlechtskrankheit Syphilis ab. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Weiterlesen