Über die Frage, was Wahrheit ist, streiten sich die Gelehrten seit Jahrtausenden. Silvio Vietta unterscheidet drei Wahrheitstheorien: Seinstheorie der Wahrheit, menschenunabhängige Wahrheitstheorien mit Ewigkeitswert sowie Wahrheit als Richtigkeit. Die Seinstheorie der Wahrheit hat Martin Heidegger vertreten. Sie besagt, dass nicht der Wahrheitswert eines Satzes in Bezug auf einen Sachverhalt die ursprünglichste Form von Wahrheit darstellt. Dazu kommt die Sprachgebundenheit des menschlichen Verstehens, was Martin Heidegger immer wieder herausgearbeitet hat. Wenn menschliches Dasein und seine Form des Verstehens immer auch durch die Sprache vermittelt sind, so ist es von Anfang an auch prädikativ bestimmt. Die Menschen erkennen die Welt ja so, dass sie das Seiende als ein solches oder solches Ding wahrnehmen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.
Ideen stellen für Platon das wahre Wesen der Dinge dar
Dies ist ein Berg, dieses ein Tal, dieses ist ein gefährliches Raubtier, dieses eine essbare Jagdbeute. Nach diesen prädikativen Urteilen orientiert sich der homo sapiens von seinen Anfängen an. Martin Heidegger vertritt die These, dass das prädikative Urteilen der ursprünglichen Seinserfahrung erst nachfolgt. Damit widerspricht er jedoch seiner eigenen Einsicht in die sprachliche Vermitteltheit allen menschlichen Verstehens. Und insofern kommt hier von Anfang an das Problem des richtigen Erkennens und der richtigen Aussage darüber ins Spiel.
Eine menschenunabhängige Wahrheitstheorie mit Ewigkeitswert hat sich Platon ausgedacht. Er war der Meinung, dass die „Ideen“, die für ihn das wahre Wesen der Dinge darstellen, in einem Ideen-Himmel jenseits des Menschen für sich ruhen. Der erkennende Mensch kann sich diesen Ideen in einer intellektuellen und argumentativen Methode der Erkenntnis nähern. Er kann sie „schauen“. Das gilt insbesondere für die Idee des Schönen und des Guten, aber auch für andere Ideen.
Das Wahre oder Falsche liegt für Aristoteles im Denken
So bilden die Ideen ein exklusives Reich ewiger Wahrheiten. Silvio Vietta sieht, dass im Neukantianismus eine solche überzeitliche Werttheorie wieder auftaucht. Ein Wahrheitswert existiert dort im menschlichen Denken vor aller Erfahrung. Die wichtigste und argumentativ haltbarste Wahrheitstheorie ist für Silvio Vietta die „Wahrheit als Richtigkeit“. Diese Theorie hat ihren Ursprung in der Einsicht des Aristoteles, der erkannt hatte, dass das Wahre oder Falsche nicht in den Dingen liegt. Es liegt auch nicht in einem an sich seienden Ideenhimmel, sondern im Denken.
Aristoteles hat auch erkannt, dass solche Wahrheitserkenntnis sich in Sätzen äußert, also sprachlich vermittelt ist. Er vertritt eine Theorie der Übereinstimmung von Erkenntnis und Aussage mit dem Gegenstand der Erkenntnis und Aussage. Wahr ist, wenn Erkenntnis und Aussage dem Tatbestand entsprechen, falsch oder unwahr, wenn nicht. Zu dieser Theorie der Übereinstimmung von Denken und Aussage einerseits, Gegenstand und Tatbestand andererseits, gibt es mehrere Varianten. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta
Von Hans Klumbies