Bildung sorgt für individuelles Glück

Dass sich Menschen und Gesellschaften durch Bildung verändern lassen, gehört zu den zentralen Mythen moderner Bildungsideologien. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Vielen gilt Bildung als jenes Instrumentarium, mit dem nicht nur die Menschen ihr individuelles Glück finden, sondern mit dem man auch die sozialen, politischen und ökonomischen Probleme unserer Zeit lösen kann.“ Wer einen Menschen aus dem Netz rassistischer oder sexistischer Vorurteile befreien und zum Positiven verändern möchte, empfiehlt, ihn zu bilden. Wer eine Gesellschaft gerechter und friedlicher haben möchte, empfiehlt, damit in der Schule zu beginnen. Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, ob Bildung hält, was man sich hier von ihr verspricht. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Ein Mensch muss sich immer erst bilden

Zuerst einmal muss man dabei die Frage beantworten, ob und inwiefern ein Mensch sich selbst durch Bildung verändern kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, inwiefern man die Veränderung eines Menschen mit dem Prozess der Bildung schlechthin identifiziert. Man kann mit guten Gründen von der anthropologischen Prämisse ausgehen, dass der Mensch nicht nur als unfertiges Wesen auf die Welt kommt. Sondern er ist auch als dasjenige Wesen, das sich eben nicht nur unter möglichst günstigen Bedingungen entfalten können soll, sondern das sich immer erst bilden muss.

Unter der Voraussetzung, dass nicht jede Form, in der sich Menschen entwickeln, Bildung genannt werden kann, setzt die Rede von Bildung eine entscheidende Differenz: die zwischen gebildet und nicht gebildet. Nebenbei bemerkt Konrad Paul Liessmann: „Die Verwendung der Begriffe „bildungsnah“ und „bildungsfern“ ist höchst problematisch. Denn diese suggeriert räumliche Metaphorik, dass Bildung irgendwo platziert ist. Und sich dazu in mehr oder weniger großer Distanz zu ihr aufhalten kann.“

Bildung dient der Selbstsuche und Selbstverwirklichung

Diese Ausdrucksweise unterschlägt sowohl die Identität von Bildung beziehungsweise Unbildung und des Subjekts als auch die Anstrengung, die darin besteht, dass Bildung als Arbeit gegriffen werden muss. Bildung ist ohne das Bild eines guten und gelungenen Lebens, das es anzustreben gilt, nicht denkbar. Dem Begriff der „Selbstveränderung“ können laut Konrad Paul Liessmann drei Bedeutungen unterstellt werden. Zum Ersten: Ich bin es, der sich in seinem Identitätsgefühl verändert, und dies aus freien Stücken. Man könnte hier von Selbstbildungsautonomie sprechen.

Zweitens: Es ist das eigene Selbst, das man durch Bildung verändert. Dies setzt ein substanzielles Selbst voraus, das sich durch eine aktivierende und kontrollierende Ich-Instanz verändert. Dabei handelt es sich um Bildung als Selbstsuche und Selbstverwirklichung. Und drittens: Man muss nicht nur sich oder sein selbst, man muss sein Leben schlechthin ändern. Man könnte dies ein Aufforderungsprofil nennen, das die Möglichkeit, ja Notwendigkeit eines radikalen Schnitts in einer Lebensführung voraussetzt: Bildung als Zäsur. Quelle: „Bildung als Provokation“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies