Ein Mensch ohne Besitz ist wenig wert

Der beste Wegbereiter eines Burn-out ist das Ego eines Menschen. Ein solches Ego lebt nach dem Motto: Mehr haben wollen, besser sein als andere, immer mehr Dinge auf einmal tun können, Gewinner sein, sich anstrengen für Anerkennung, stärker sein. Klaus Biedermann stellt fest: „Solche Dinge werden uns von Kindesbeinen an ständig eingetrichtert und sind in einer Konsumgesellschaft Grundvoraussetzung für deren Funktionieren. Wir bekommen vorgelebt, gezeigt und gesagt, dass ein Mensch, der nichts besitzt oder nichts leistet, wenig wert ist.“ Mehr noch: Man darf sich sogar über ihn lustig machen. Irgendwann übernehmen Besitz und Leistungsstreben die Herrschaft über das gesamte Leben eines Menschen, obwohl ihm rational durchaus klar ist, dass er nackt kam und mit leeren Taschen wieder gehen wird. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.

Ganz früh im Leben geht es schon um Prestige

Wird die Geburt eines Kindes generell als etwas Wertvolles begrüßt, einfach weil es geboren wurde, ändert sich das sehr bald. Schon für viele kleine Kinder ist es wichtig, wie viele Spielsachen sie besitzen; mit Markenkleidung, Smartphones und anderen angesagten Dingen setzt sich das in der Schule fort. Klaus Biedermann nennt ein Beispiel: „Bereits im Alter von drei Jahren wusste die Tochter von Freunden genau, welche Schuhmarke es sein musste; so früh im Leben geht es also schon um Prestige.“

Wer später nicht mithalten kann, gilt schnell als Außenseiter – ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor. Aus diesem Grund plädiert Klaus Biedermann auch in Deutschland für die Einführung einer einheitlichen Schulkleidung, wie es in vielen Ländern üblich ist. Das Ego kann einem Menschen einflüstern, dass sein Wesen an das gebunden ist, was er besitzt, dass es darum geht, immer mehr zu haben – ein Ego, das wie ein Virus scheinbar den gesamten westlichen Kulturkreis infiziert hat. Eine der größten Lügen, die daraus resultiert, lautet: Du bist, was du hast.

Viele Menschen definierten ihren Wert über die Arbeit

Neben all den Rufen nach Mehr gibt es eine ebenso tragische Forderung: Immer schneller in immer kürzerer Zeit – der Treibstoff vieler Karrieren. Klaus Biedermann kennt die Folgen: „Die Kehrseite ist oft ein Burn-out und schließlich beginnt das Ego uns auch noch zuzuflüstern, dass das zum Lifestyle dieses Jahrhunderts dazugehört. Wer bestehen möchte, muss mitmachen. Seine Wert definiert man über die Arbeit.“ Nicht groß ist dann der Schritt, der Versuchung zu unterliegen, sich mit Burn-out richtiggehend zu schmücken.

Denn wer Burn-out hat, muss ja Vollgas gegeben haben, wer ausgebrannt ist, muss vorher gebrannt haben. Dass auch Arbeit zur Sucht werden kann, übersehen immer noch zu viele Menschen. Das liegt vor allem daran, dass kaum etwas gesellschaftlich so anerkannt ist wie Leistung. Erlebt ein Mensch an seinem Arbeitsplatz viel Anerkennung, kann sein Ego ins Unermessliche wachsen, unterliegt aber dennoch einer grandiosen Täuschung. Denn nicht als der Mensch, der man ist, wird man anerkannt und gelobt, vielmehr geht es um die erbrachte Leistung. Quelle: „Burn-In statt Burn-Out“ von Klaus Biedermann

Von Hans Klumbies

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