Die Schule ist eine „autoritäre“ Institution

Für Herbert Renz-Polster stellt sich die Frage, ob das Bildungssystem vielleicht selbst dafür sorgt, dass sich autoritäre Haltungen bei Schülern verfestigen. Wenn dies auch unbeabsichtigt geschieht. Denn in einem gewissen Sinne ist die Schule eine „autoritäre“ Institution. In dem Sinne nämlich, dass sie die Schüler einer von ihnen selbst kaum hinterfragten Ordnung unterwirft. Herbert Renz Polster kritisiert: „Bis heute verbringen Schüler den größten Teil ihrer Kindheit damit, Fragen zu beantworten, die sie selbst nicht gestellt haben.“ Je besser sie diese Fragen beantworten und je reibungsloser sie diese beantworten, desto besser fällt ihre Benotung durch ihre pädagogischen „Führer“ aus. Die Lehrpläne, die Bildungsinhalte, die Methoden – die alle waren schon längst da, bevor das Kind auch nur die Schule betreten hat. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

Die Schule hat auch einen Ausleseauftrag

Und sie sind auch dann nicht änderbar, wenn das Kind damit nicht klarkommt. Oder sie bei ihm und seinen Freunden nicht auf Interesse stoßen. Herbert Renz-Polster will damit nicht sagen, dass sich in manchen Ländern die Schulen und die Lehrer nicht auf den Weg einer inneren Demokratisierung gemacht haben. Nur scheint ihm der Prozess, gemessen an der sonstigen Modernisierung der Gesellschaft, eher ein langsamer zu sein. Denn anders als häufig angenommen hat die Schule nicht nur einen Bildungsauftrag.

Sie hat vielmehr auch einen Ausleseauftrag. Schließlich verteilt sie mit den Noten und Bildungstiteln auch die Eintrittskarten zu den gesellschaftlichen Rängen. Nur: Mit der Benotung ist das so eine Sache. Die besseren Noten und die Auszeichnungen bekommen nicht unbedingt die, die sich am meisten anstrengen. Sondern diejenigen, die vom Leben bereits ausgezeichnet sind. Mit dem richtigen Elternhaus und den richtigen, also hauptfächertauglichen Talenten.

Die Auslesefunktion bestraft die Bildungsbedürftigen

Die anderen aber, die Auszeichnungen umso dringender gebrauchen könnten, bekommen bis heute eher die Abwertungen. Nämlich schlechte Noten, den Dauerstress, das negative Selbstbild. Die Auslesefunktion der Schule stellt also gerade für die besonders Bildungsbedürftigen eindeutig ein Handicap dar. Damit steht die Belohnungs- und Motivationspyramide praktisch auf dem Kopf. Denn gerade die Kinder mit den weniger guten Startbedingungen können ja nur auf eines hoffen.

Nämlich dass die Schule alles tut, damit sich der bei ihnen nur dünn aufgetragene Haftgrund für Bildung verbessert. Dazu aber brauchen diese Kinder umso mehr Anerkennung, Schutz und Mitsprache. Auch und gerade in der Schule. Das ist aber ohne eine sichernde, reichhaltige und aufbauende Beziehungskultur gar nicht zu schaffen. Herbert Renz-Polster fordert: „Das erfordert eine fürsorgliche Bildungslandschaft.“ Die Verlierer der Gesellschaft können nicht zu Gewinnern werden, solange sie schon in der Schule Gegenwind bekommen. Quelle: „Erziehung prägt Gesinnung“ von Herbert Renz-Polster

Von Hans Klumbies

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