Platons Staat hat repressive Strukturen

Barbara Schmitz weiß: „In der Philosophie finden sich bei Platon Überlegungen dazu, dass es bestimmte Arten des Lebens gibt, die nicht wert sind, gelebt zu werden.“ Platon entwirft in der „Politeia“ einen Staat, der sich nicht nur durch repressive Strukturen auszeichnet. Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung stellt Platon fest: „Wer körperlich nicht wohlgeraten ist, den sollen sie sterben lassen. Wer seelisch missraten und unheilbar ist, den sollen sie sogar töten.“ Hintergrund ist für Platon nicht nur das Ideal von Schönheit und Jugendlichkeit, das das Denken der Antike vielfach prägte. Barbara Schmitz ist habilitierte Philosophin. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Basel, Oxford, Freiburg i. Br., Tromsø und Princeton. Sie lebt als Privatdozentin, Lehrbeauftragte und Gymnasiallehrerin in Basel.

Ein Leben ohne Freiheit des Ichs ist unwürdig

Platon stellte auch die Überlegung an, dass der „Nutzen“ von Individuen mit Krankheiten oder „Schädigungen“ für die Gemeinschaft gering ist. Sie stellen eine Bürde für die Gesellschaft dar. Bei Aristoteles findet man sogar die Empfehlung für ein Gesetz, „kein verstümmeltes Kind aufzuziehen“. Ein solches Gesetz scheint dann bis zum Ende des 2. Jahrhunderts tatsächlich in Geltung gestanden zu haben. Die Stoiker machen den Gedanken stark, dass der Verlust von Autonomie dazu führe, dass das Leben nicht mehr wertvoll sei.

Denn in ihm sei die Freiheit des Einzelnen verloren gegangen. Ein Gedanke, den man auch im 19. Jahrhundert zum Beispiel bei Johann Gottlieb Fichte findet, der der Leben ohne Freiheit des Ich als unwürdig, unmenschlich, lebensunwert ansieht. Barbara Schmitz stellt fest: „Noch stärker findet sich dieser Gedanke bei Friedrich Nietzsche, der werthaftes und wertloses Leben unterscheidet. Wobei letzteres sich dadurch auszeichnet, dass der Mensch nicht mehr der freie Herr seiner selbst ist.

Der Sozialdarwinismus gewinnt größere Bedeutung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewinnt die Frage nach dem lebenswerten Leben dann im Rahmen des unter Gelehrten populären Sozialdarwinismus größere Bedeutung. Hier vertritt man den Gedanken, dass Menschen, denen bestimmte Fähigkeiten, vor allem geistiger Art, nur „Ballast“ für die Gesellschaft sind. Daher sei es erlaubt, diese Schwachen zu töten. Mit dem Ziel, die Gesamtheit einer Gruppe in ihrer Gesundheit und Stärke zu fördern. Eine wichtige Rolle spielt dabei das 1920 veröffentlichte Buch des Strafrechtlers Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche mit dem bezeichnenden Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“.

Die Motivation von Binding und Hoche, sich dem Thema „lebensunwertes Leben“ anzunehmen, war vor allem ökonomischer Art. Es ging ihnen bei der Knappheit der Mittel um Einsparungen in der Psychiatrie. Barbara Schmitz erklärt: „Drei Gruppen fallen für Binding und Hoche unter diejenigen, die den Wunsch nach Erlösung besitzen.“ Nämlich die unrettbar Kranken, die „unheilbar Blödsinnigen“ und die durch ein Ereignis wie eine Verwundung bewusstlos geworden sind. Quelle: „Was ist ein lebenswertes Leben?“ von Barbara Schmitz

Von Hans Klumbies