Das Klima formt Köper und Geist

Abgeleitet von κλίνω – das griechische Wort für neigen – meint Klima zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als den Einfallswinkel der Sonne an einem gegebenen Ort. Klima ist also ursprünglich, bei Eratosthenes, Hipparchos und Aristoteles, eine geographische Kategorie, ein Breitengrad. Eva Horn fügt hinzu: „Es bezeichnet Zonen oder, mit einem Ausdruck des 18. Jahrhunderts, Himmelsstriche.“ Diese Zonen werden schon bei Aristoteles mit dem Wesen ihrer Bewohner in Verbindung gebracht: „Die Völker in den kalten Gegenden […] sind von Mut erfüllt, stehen aber mehr im Denken und in der Kunst nach; daher verbleiben sie mehr in Freiheit, doch zur Staatenbildung sind sie ungeeignet. […] Die Völker in Asien sind hingegen denkerisch begabt und künstlerische Seelen; daher verbleiben sie beherrscht und in Sklaverei.“ Eva Horn ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Kulturtheorie an der Universität Wien.

Eva Horn stellt eine Anthropologie des Klimas vor

Was hier beginnt, sind für Eva Horn die Grundzüge einer Anthropologie des Klimas, die sich bis ins 18. Jahrhundert halten wird. Sie führt menschliche Eigenschaften auf die Temperaturen zurück, in denen die Menschen sich aufhalten. Eine raffiniertere Fassung dieser geologischen Vorstellung findet sich allerdings schon bei Hippokrates. Dieser geht die Sache von einer medizinischen Seite an. In seinem Traktat über „Luft, Wasser und Orte“ entwirft er Klima als Gesamtheit der natürlichen Lebensbedingungen, die Menschen an einem gegebenen Ort vorfinden.

Das sind meteorologische Bedingungen wie Niederschläge und Winde, besonders die Wirkungen der Jahreszeiten. Aber auch die Qualität der Wasserquellen, der Boden und seine Ausdünstungen, die Art der Nahrung, die der Bevölkerung zur Verfügung steht. Hippokrates geht davon aus, dass diese Ortsfaktoren den menschlichen Körper und Geist formen. Damit erklären sie auch seine Konstitution und Krankheiten. Dabei gibt es für Hippokrates keinen normalen Körper, sondern nur vielfältige und unterschiedliche Typen, die von den Orten hervorgebracht werden, an denen Menschen wohnen.

Klimatheorie ist keine frühe Theorie der Umwelt

Klima ist für die Antike also der Ort des Menschen. Die frühen Klimatheorien arbeiten an einer Verortung des Menschen, die davon ausgeht, dass man nicht nur Körper, sondern auch Kulturen, Charaktere und sogar die Form des Gemeinwesens nur vor dem Hintergrund dieser Verortung denken kann. Eva Horn erklärt: „Der Mensch ist, wo er wohnt. Klimatheorie ist damit allerdings keine frühe Theorie der Umwelt. Denn sie denkt nicht in Kategorien eines Organismus im Zentrum und seiner Um-Welt drumherum.“

Sie ist vielmehr eine Theorie des An-einem-Ort-seins. Eine Theorie, die einen Blick auf menschliche Lebensbedingungen mit einem Interesse an Kulturen, Mentalitäten und politischen Formen verbindet – und zwar im Plural. Denn so wie es nicht den einen Ort gibt, gibt es für sie nicht den einen Menschen. Es gibt verschiedene Typen und nicht eine Kultur, sondern viele Kulturen. Klimatheorie ist damit eine Theorie des Vergleichens von menschlichen Lebensformen. Das hindert sie natürlich nicht daran, sehr häufig zu werten. Es gibt bessere und schlechtere Klimata und so natürlich immer auch bessere und schlechtere, höher oder niedriger stehende Kulturen. Quelle: „Neue Menschen!“ von Konrad Paul Liessmann (Hrsg.)

Von Hans Klumbies