Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig

In der Aphorismensammlung „Der Wanderer und sein Schatten“ von Friedrich Nietzsche gibt es den Dialog „Der Fanatiker des Misstrauens und seine Bürgschaft“. Der Philosoph stellte diesen Fanatiker des Misstrauens als Pyrrhon vor. Er versah in also mit dem Namen des Gründers der philosophischen Schule der Skeptiker. Nachdem ein Alter nämlich Pyrrhons Lob des Misstrauens auch gegen die von letzterem vertretene Wahrheit gewendet, weiß Pyrrhon nur noch zu lachen. Der Dialog endet mit des Alten Frage: „Ach Freund! Schweigen und Lachen, – ist das jetzt deine ganze Philosophie?“ Pyrrhon antwortet: „Es wäre nicht die Schlechteste.“ Christian Niemeyer warnt: „Bevor man Friedrich Nietzsche allerdings voreilig den Skeptizisten zuordnet, sollte man beachten, welche Bedeutung das Schweigen und vor allem das Lachen in seiner Philosophie erfüllt.“ Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Jeder Irrtum trägt ein Gift in seinem Innern

Das Schweigen steht eher für etwas, über das noch nicht, aber über das unter den je gegebenen Voraussetzungen zu reden ist. „Man soll nur reden, wo man nicht schweigen darf. Und nur von dem reden, was man überwunden hat“, so Friedrich Nietzsche. Schon Zarathustra hatte wenig Zweifel gelassen, im Blick worauf das Schweigen jedes Recht verliere. Er sagt: „Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig.“ Arthur Schopenhauer hat es ähnlich formuliert. Er schreibt: „Jeder Irrtum trägt ein Gift in seinem Innern.“

Das Lachen dagegen repräsentierte eher den Gegencode zu den schon von Arthur Schopenhauer getadelten „ernsthaften Bestien“. Also zu der, in Friedrich Nietzsches Worten, gängigen Vorstellungen des Intellekts als „einer schwerfälligen, finsteren und knarrenden Maschine“. „Die liebliche Bestie Mensch verliert jedesmal, wie es scheint, die gute Laune, wenn sie gut denkt; sie wird ernst!“, so Friedrich Nietzsche. Und wo Lachen und Fröhlichkeit ist, da taugt das Denken seiner Meinung nach nichts.

Bloße Schlauheit befähigt nicht zum Philosophen

Arthur Schopenhauer stellt fest: „Bloße Schlauheit befähigt zum Skeptikus, aber nicht zum Philosophen.“ „Man muss von Zeit zu Zeit skeptische Perioden durchleben, wenn anders man ein Recht haben will sich seine wissenschaftliche Persönlichkeit zu verdienen“, schreibt Friedrich Nietzsche. Den anfangs angesprochen Dialog prägt im Innersten des Alten Frage, wie Pyrrhon den „das Ungeheure wagen“ wolle, nämlich „die Menschen im Großen zu belehren“.

Pyrrhons Antwort lautet: „Das Misstrauen gegen Alles und Jedes ist der einzige Weg zur Wahrheit.“ Karl Löwith drückt dies in seinen Worten so aus: „Die Wahrheit ist nicht mehr da im Vertrauen zum Sein der Wahrheit, sondern im Misstrauen gegen alle bis dahin geglaubt gewesene Wahrheit.“ Friedrich Nietzsches verfolgte also eine Strategie der sukzessiven Ausschaltung des Unwahren. Dabei arbeitet er sie in einen Bildungswerdegang ein, als dessen Exempel und Vorbild er sich selbst begreift. Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies